Wann sind die mit unserem (Unter-)Bewusstsein verbundenen menschlichen (Phantom-)Schmerzen lange genug ausgelebt oder die Begegnung mit ihnen vermieden worden?

Was muss noch geschehen, bevor Menschen so (mit)gefühlvoll, offen, ehrlich und achtsam miteinander umgehen können, dass niemand mehr denken muss, dass es Menschen gibt, die andere absichtlich – ohne einen vermeintlich guten Grund dafür zu haben – verletzen wollen?

Es ist für mich als Biologin nicht erstaunlich, dass unterschiedliche Menschen Schmerzen unterschiedlich stark wahrnehmen bzw. dass sie – aufgrund ihrer Lebenserfahrungen und damit verbundenen Erinnerungen oder Lerneffekte – in derselben Lebenssituation unterschiedlich stark leiden.
Mich wundert auch nicht mehr, dass ich mich früher – anderen Menschen zuliebe – in Situationen begeben habe, die für mich mit (Mit-)Leid verbunden waren:

  • mich zum Beispiel „freiwillig“ an einen Tisch zu begeben und oft als einzige etwas anderes als alle anderen essen zu „müssen“, weil die mit Genuss Teile von toten Tieren verspeisen können, oder
  • mit Menschen in einer Wohnung zusammen zu leben, die noch weniger als ich darauf achten, der Natur möglichst wenig mit dem zu schaden, was sie sich für sich selbst herausnehmen.

Das Leben ist ein ständiges Mit(einander)teilen, also Zusammenbringen oder Trennen von Informationen und damit verbundenen Gefühlen oder Vorstellungen: ein Geben und Nehmen, ein – einsames oder gemeinsames – Aufwachsen bzw. Entwickeln und Ver– bzw. Eigenen-Wege-gehen.
Menschen können irgendwann, weil ihr Gefühl es ihnen sagt, feststellen, dass sie anderen – die vielleicht gar nicht danach gefragt hatten bzw. darüber aufgeklärt waren, was damit verbunden ist – mehr gegeben haben, als diese je hätten annehmen wollen oder ertragen bzw. auf die leichte Schulter nehmen bzw. mit einen sprichwörtlichen „Schwamm drüber“ wegwischen können.
Daher dürften sie auch wenig überrascht sein, wenn ihnen gleichzeitig auch bewusst wird, dass

  • sie – weil sie sich selbst dabei verausgabt haben – kaum (mehr) etwas zu geben haben, was andere überhaupt gebrauchen können bzw. jemals nutzen wollten, oder
  • ihnen in ihrem Leben vieles fehlt, was auch andere ihnen nicht geben können, z.B. auch die weise Entscheidungskraft, ihrem Körper, ihrem Geist oder ihrer Seele möglichst wenig Leid mit dem zuzufügen, was sie für sich selbst oder für andere für völlig harmlos hielten.

Jeder Mensch, der oder die sie noch nicht erlebt hat, kann sich natürlich leicht einreden, dass „einschneidende oder sich einbrennende oder -hämmernde, einzigartige Erlebnisse“ keine (Spät-)Folgen haben werden, nachdem sie vorbei und nur noch Erinnerung sind. Wer allerdings am eigenen Leib die (Lebens-)Erfahrung gemacht hat, dass es körperliche Symptome gibt, die sich – in bestimmten, vor allem unerwarteten Situationennicht kontrollieren lassen, weil ein „unterbewusst gespeichertes Programm“ abläuft, weiß, dass sich dann auch damit verbundene (Phantom- bzw. „nur“ im Kopf als Erinnerungen gespeicherte)Schmerzen wieder völlig real anfühlen, so als würde man sie in dem Moment in allen Einzelheiten noch einmal spüren können.

Menschen, die solche „Flashbacks“ bereits von sich kennen und sich (oder auch andere) davor schützen wollen, dass sie in Gegenwart anderer Menschen „wie von der Tarantel gestochenreagieren, weil ihr Körper unkontrolliert Hormone ausschüttet, gewöhnen sich häufig „Standard-Programme“ an, mit denen sie auch in jeder neuen Situation die Oberhand über ihre Gefühle, also auch aufsteigenden Schmerz behalten können.
Ohne wirklich verstanden zu haben, wofür es wichtig ist, im Leben als soziales Wesen schmerzhafte Erfahrungen zu machen, nämlich entweder

  • um selbst daran zu wachsen, oder
  • um das eigene Wissen an andere, vor allem Jüngere, die oft sehr wenig vorsichtig durchs Leben gehen, weiterzugeben und ihnen ähnliche Erfahrungen zu ersparen.

behalten viele Menschen sie möglichst für sich statt ihr unverständliches Leid mit anderen zu teilen, es also auch weiterzugeben.

Natürlich ist ein in zwei Hälften geteiltes Leid genauso wenig ein halbes Leid für jeden oder jede, die ein Stück davon abbekommen hat wie Freude, die Menschen unter anderen verbreiten. Aber sobald sich Menschen entweder von anderen verstanden fühlen bzw. erkennen, dass ihr Leid unauslöschlich zu dem Leben gehört, das sie führen und über das nur sie die Entscheidungsgewalt haben, können sie auch endlich lernen, es immer leichter, also als unvermeidlich anzunehmen und die Erinnerungen daran entweder

  • mit der Zeit verblassen, also Gras darüber wachsen zu lassen, oder
  • bewusst – mit künstlichen bzw künstlerischen Mitteln – aufrechtzuerhalten, um anderen die Möglichkeit zu geben, daraus zu lernen.

Ich danke jedenfalls allen Menschen, die sich tagtäglich mit dem – auch ihrem eigenen – sinnlosen Leid in der Welt auseinandersetzen, um es auch anderen vor Augen zu führen, unter die Nase binden oder aufs Ohr drücken, die es lieber auf ihre eigene Art „bekämpfen“ – still und leise für sich, indem sie sich möglichst davon ablenken und sich und anderen „nur Gutes tun“ oder anderen Geld dafür in die Hand drücken, dass sie sich darum kümmern.
Genauso wenig wie alte Wunden nicht oder nur schlecht heilen können, wenn man

  • ihnen nicht die Aufmerksamkeit schenkt, die sie brauchen,
  • nicht alle Fremdkörper aus ihnen entfernt – auch wenn das mit neuen Schmerzen verbunden ist, weil sie sich verhakt oder verkantet haben bzw. schon eingewachsen sind,
  • ihnen keine Ruhe lässt, also keine heilsamen Bedingungen bietet,

lässt sich zukünftiges Leid nachhaltig vermeiden, indem man sich ihm nicht immer wieder stellt, also – sich gedanklich oder (vor-)bildlich, symbolisch – damit konfrontiert.
Es ist meiner Meinung nach keine Lösung für den Umgang mit Schmerzen und Leid in der Welt, in der Hoffnung zu leben, es aus der Welt schaffen zu können – indem man sich z.B. nur an selbstgewählten „schönen“ Orten oder zu „ganz besonderen“ (Frei-)Zeiten, in wohliger Gemeinschaft mit anderen, die denselben Umgang damit pflegen, völlig frei davon bewegt. Irgendwer wird es immer heraufbeschwören. Niemand kann sich meiner Erfahrung nach damit von Leid erlösen, keine „bösen“ Erinnerungen mehr aufkommen lassen zu wollen.
Damit, dass Menschen „nur“ lernen, immer wieder rechtzeitig vor der Macht ihrer Gefühle (über den eigenen Körper) zu fliehen, und Berührungen mit anderen Menschen zu vermeiden, die sie für gefährlich und leidbringend für sich halten, erreichen sie meist nur, dass ihnen mit der Zeit die Luft ausgeht, sie an Kraft verlieren und/oder ihre Schmerzen im Vergleich dazu zunehmen, ihr Leid also nur größer wird. Ohne anderen (selbst-)verständlich, also für jeden Menschen leicht nachvollziehbar erklären zu können, warum sie „so ticken“, wie sie ticken, werden ihnen mit Sicherheit irgendwann die Ideen für „gute Entschuldigungen“ für ihr Verhalten ausgehen.

Sie können es natürlich auch versuchen, ohne ihrem – körperlichen oder seelischen – Leiden auf den Grund zu gehen, in der Hoffnung, dass es irgendwann nicht mehr schlimmer werden kann oder sie davon verschont bleiben, sich jemals dafür verantworten zu müssen, dass sie nichts dagegen getan und vor allem andere davor gewarnt haben (dass sie vielleicht dasselbe Schicksal ereilen könnte).
Die Hoffnung (auch auf ein friedliches Ende eines noch um das eigene Überleben kämpfenden Körpers) stirbt immer zuletzt. – Aber jeder Mensch kann entscheiden, ob er oder sie sie bereits zu Lebzeiten eigenständig – in einer eigens dazu ins Leben gerufenen, feierlichen Zeremonie – symbolisch beerdigt, ihr mit Hilfe der eigenen Kreativität nur im eigenen Kopf eine Ruhestätte erschafft oder darauf wartet, dass andere sie oder ihn irgendwann damit begraben.

 

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Dank für das Foto gebührt Anna Shevchuk (auf pexels.com)!

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