Auf und nieder (oder: Links, rechts, vor, zurück) …
Die automatisch, zyklisch, wiederkehrende Zeit der sorglosen Ulkerei – ganz ohne sich dazu von der Stelle bewegen oder noch in der Lage sein zu müssen, selbstständig (dagegen) aufzustehen
Seit heute Vormittag, 11 Uhr 11, ist es ganz offiziell wieder erlaubt: Sich völlig übertrieben albern, entstellt oder schön zu verkleiden bzw. zu maskieren und sich dabei völlig schamlos zu verhalten, indem man entweder sich selbst oder andere
- zur Lachnummer macht oder
- auf einen Thron setzt, also
- auf unterschiedliche Weise herabwürdigt oder aufwertet.
Unser gesellschaftliches Leben ist – trotz all der Bemühungen, Menschen unter Kontrolle zu halten und für Zucht und Ordnung zu sorgen – nicht dazu in der Lage, die menschliche Natur völlig zu unterdrücken: die Sehnsucht der Menschen nach gedankenlosem Spaß und der Freiheit, ohne Angst vor Folgen wenigstens zeitweise einfach tun und/oder sein lassen zu können, was sie wollen.
Dass sich Menschen dazu Termine vorgeben lassen, zu denen sie ausgelassen feiern und Lärm machen dürfen oder sich selbst zurückhalten bzw. am besten schlafen müssen, das hat bereits eine lange Tradition.
Denn seitdem die Menschheit das Feuer unter ihre Kontrolle gebracht hat und sich die Nacht zum Tag oder den Winter zum Sommer machen kann, wäre im Grunde niemand mehr darauf angewiesen, sich nach bestimmten Tages- oder Jahreszeiten als Zeitgeber richten zu müssen. Wir Menschen können allerdings weder von Sonnen- noch von künstlichem Licht und Liebe oder Unterhaltungsprogrammen allein leben, sondern brauchen regelmäßig nährende Lebensmittel, die also in der Lage sein müssen, nachzuwachsen. Daher müssen wir auch unter menschengemachtem „Kunstlicht“ dafür sorgen, dass – unnatürliche Zyklen – des Werdens und Vergehens, der Aktivität und Passivität, der Ausgelassenheit und der Enthaltsamkeit geschaffen und aufrechterhalten werden.
Die Natur hat offenbar (Galgen-)Humor: Wer sich nicht an ihre, sinnvollen und lebenserhaltenden, Gesetze oder Fristen (die vorgeben, wann es sinnvoll ist, etwas ins Leben zu rufen, wenn es auch bis zur Reife oder zu einem anderen Entwicklungsstadium gelangen soll) halten möchte, um sich frei bzw. unabhängig davon zu machen, muss die neugewonnene Freizeit erst einmal dazu nutzen, sich eigene, neue zu überlegen. Gemeinschaften müssen, um lebendig zu bleiben, nicht nur kurzfristig, sondern nachhaltig „funktionieren“. Dazu müssen lebensnotwendige Ressourcen im Fließgleichgewicht bleiben. Wenn mehr verbraucht bzw. sogar verschwendet werden als sich regenerieren können, werden früher oder später viele, die darauf angewiesen sind, ihr Leben verlieren oder zurückkehren müssen: zur Natur, in der zwar nicht jederzeit alles nach Lust und Laune möglich ist, sich aber alle Menschen auch außerhalb der närrischen Zeit so irrwitzig verhalten dürfen wie sie möchten .
Dummheiten werden sich Menschen wohl niemals verbieten lassen. Wir brauchen sie wie die Luft zum Atmen, um den Ernst des Lebens – seine unschönen, dunklen, traurigen, schmerzhaften Seiten – ertragen zu können: mit lautem Gelächter, ohrenbetäubendem Lärm und andere Sinne vernebelnden (und dadurch tröstenden) Speisen, Getränken oder Schauspielen. Allerdings entwickelt sich unser menschliches Bewusstsein dafür, was wirklich schlau ist oder wäre und was nicht, beständig weiter: Theoretisch könnten wir uns alle irgendwann freiwillig darauf einlassen, uns – ohne dass es ein Terminkalender vor- oder Gesetze dafür geben müsste – „ordentlicher“ bzw. vernünftiger und nicht immer wieder wie Trottel zu benehmen.
Bis dahin werden sich Menschen, egal ob in Demokratien oder unter diktatorischen Regierungen, wahrscheinlich weiterhin damit be- und vergnügen, geduldig auf die „staatlich genehmigten“ närrischen Tage (oder andere Feiertage) zu warten – im Wissen, dass sie es sich nicht leisten kann, sich jeden Tag aufzuführen als gäbe es gerade einen Ausnahmezustand, der es erlaubt, den eigenen Kopf auszuschalten bzw. sich in eine Fantasiefigur zu verwandeln, die in ihrer gesetzlosen Traumwelt Unfug treiben kann, ohne sich um die Folgen scheren zu müssen.
Vielleicht leben viele Menschen sogar noch im Glauben, dass es völlig natürlich ist, dass einige Menschen für andere Zeit- oder Lebensräume festlegen dürfen, an die sie sich vielleicht nicht unbedingt halten, die sie also nicht unbedingt nutzen müssen, wenn ihnen nicht der Sinn danach steht, die sie aber auch nicht einfach nachholen bzw. verändern können, wenn sie eigene, andere Vorstellungen davon haben.
Für mich als Wissenschaflerin bzw. wissbegieriger Mensch ergibt es Sinn, sich zuerst einmal zu fragen, wer sich besonders darüber amüsiert, dass Menschen sich gerne termingerecht, also „geplant“,
- in Feierlaune bringen (lassen),
- kostümieren, also feierlich anziehen oder verkleiden und
- damit outen, also freiwillig demonstrieren, wer oder was – welche (Witz-)Figur – sie gerne wären (bzw. hätten).
Ob ich mich damit selbst zur Närrin mache, dass ich lieber jeden Tag auf unterschiedlichste Weise ausdrücke, wie ich mich gerade fühle, wird sich früher oder später – wenn die Zeit dafür gekommen oder reif ist – zeigen.
Ich bin jedenfalls überzeugt, dass sich Menschen noch sehr lange, tagtäglich oder in gewissen Zeitintervallen zum Narren machen oder halten lassen werden: Solange sie sich eine Welt ohne Narren nicht vorstellen wollen oder können bzw. nicht erkennen, wenn es Sinn macht, einen zu spielen und wann nicht.
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Dank für das Foto gebührt Markus Spiske (auf Unsplash)!
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