Gefangen im Strudel menschlicher Emotionen

Wenn Menschen nicht bereit sind, weiter zu gehen und sich aus dem zu lösen, was sie gefangen hält, und die Kontrolle über ihre – utopische – Freiheitsliebe oder – dystopische – Angst vor dem Alleinsein bzw. dabei vielleicht sogar ihren Verstand verlieren

Eine verhaltensökologische Sichtweise

Es sagt viel über Menschen aus, ob sie glauben, dass der Homo sapiens entweder von Natur aus oder zumindest, wenn es von ihm verlangt wird, in der Lage und auch dazu (freiwillig) bereit ist, sich in jeder Situation selbst beherrschen und selbstständig unter Kontrolle halten zu können (um niemandem mit seinem Verhalten zu schaden), oder von anderen regiert bzw. – zu ihrer und unserer Sicherheit gemaßregelt bzw. gesetzlich kontrolliert werden muss (weil er oder auch sie das „richtige“ Maß nicht selbst erkennen kann). Mir als Verhaltensforscherin, deren „Labor“ der menschliche Alltag ist, sagt es vor allem, dass diese Menschen schlecht differenzieren, aber stattdessen vieles gut über einen Kamm scheren können

Es sagt allerdings nichts darüber aus, ob sie entweder

1. sich selbst und ihre Neigung, leicht über die Stränge zu schlagen, besonders gut und – statt der Angst vor den Folgenkeine andere erfolgversprechende Möglichkeit (um sich selbst zu benehmen) als die Angst vor einer Bestrafung bzw. vor einem „Denkzettel“ kennen, den andere willkürlich für sie festlegen dürfen, oder

2. andere Menschen sehr schlecht kennen und denken, dass alle anderen sich entweder besser unter Kontrolle hätten oder sich in derselben Weise von drohenden oder überstandenen Strafen davon abhalten lassen würden, das zu tun, wonach ihnen gerade der Sinn steht.

Sobald starke Emotionen – menschliche Triebe – im Spiel sind sollte sich kein Mensch darauf verlassen, dass sich irgendein menschliches Wesen noch an irgendwelche Regeln erinnert. Selbst wenn sie im gegenseitigen Einverständnis und mit dem Versprechen, sie auch einhalten zu wollen, festgelegt wurden und nicht nur vernünftigdurchdacht – klingen, sondern tatsächlich sinnvoll sind, sind nur wenige Menschen dazu in der Lage, sie auch noch in ihr Gedächtnis zu rufen, wenn sie – aus welchem überraschenden Grund auch immer – von ihren Gefühlen übermannt werden.

Wir Menschen können nicht alles vorausplanen, insbesondere nicht, wie wir uns im nächsten Moment fühlen werden.
Wir können zwar unsere Außenwelt so gefühlsarm-eintönig bzw. für uns selbst vorhersehbar gestalten und uns möglichst nicht aus ihr herausbewegen; aber völlig ohne Kontakte zur Außenwelt, können wir – trotz modernster Technik oder der Macht unserer Gedanken – nicht lange überleben. Wir können daher nur lernen, mit unseren Gefühlen umzugehen, sobald wir sie entweder langsam herannahen oder ganz plötzlich aufsteigen und über uns hereinbrechen spüren.
Es macht dabei wenig Sinn, sich vorsorglich nur in der Theorie auf alle möglichen Gefühlskatastrophen und Paniksituationen vorbereiten zu wollen, ohne sich jemals mit ihnen oder zumindest etwas Ähnlichem zu konfrontieren. Genauso wenig Sinn macht es allerdings, – wenn man einmal unvorbereitet einen harten emotionalen Schlag einstecken musste – ohne genaueste Situationsanalyse bzw. Betrachtungen von Entwicklungsprozessen und Launen (der Natur) denselben Schlag an derselben Stelle inmitten der gleichen Personen wieder zu erwarten.

„Dinge“ ändern sich in jeder Sekunde, auch wenn sich Menschen in ähnlichen möglicherweise traumatisierenden Situationen gefangen fühlen können – sobald sie sie unbewusst miteinander vergleichen (statt sich für völlig neue, vielleicht überraschend schmerz- oder sogar bedeutungslose Erfahrungen zu öffnen). Menschen reagieren aufgrund ihrer eigenen Vorerfahrungen emotional sehr unterschiedlich auf alles, was ihnen in ihrem Leben begegnet und sind nur bedingt dazu in der Lage, sich einstimmig auf Gefühle bzw. deren Beschreibungen zu einigen:
Die einen bekommen Panik, wenn sie von anderen Menschen zu sehr eingeengt – in ihrer (Bewegungs- oder Entscheidungs-)Freiheit eingeschränkt – werden, fühlen sich also von zu viel Nähe bedroht; die anderen fühlen sich erst sicher aufgehoben, wenn sie von anderen umringt sind, weil sie das Gefühl, in einer Menge zerquetscht werden zu können, noch nicht kennengelernt haben.
Die einen wissen, sich in jeder Situation notfalls auch alleine weiterzuhelfen, so dass ihnen Einsamkeit keine Angst macht; andere kennen das Gefühl, sich völlig allein auf der Welt zu fühlen und niemanden zu haben, den sie in einem „echten“ Notfall – wenn es um das eigene Überleben geht – um Hilfe bitten könnten, überhaupt (noch) nicht.
Die einen verbinden die Farbe rot mit Liebe; andere sehen rot, wenn sie nur daran denken, sich noch einmal verlieben zu „müssen“.
Die einen lieben klassische Musik, um sich emotional ausgeglichen zu fühlen; andere gehen vor allem mit lauten, metallischen Klängen in Resonanz.
In ihrem Sicherheitsdenken, das auf ihren eigenen Verlusterfahrungen gründet, die sie nicht nur sich selbst, sondern auch anderen Menschen ersparen möchten, lässt sich ein Teil der Menschen darauf ein, sich einwickeln oder streng (in Systemabläufe) einbinden zu lassen, andere verlassen sich zur eigenen Sicherheit lieber darauf, sich möglichst schnell davon loslösen, also frei für darüber hinwegtröstende Erfahrungen machen zu können.

Das erste Mal am eigenen Leib erleben zu müssen, wie eine emotional angespannte Situationen eskalieren, welche Ausmaße sie also annehmen kann, wenn niemand da ist, der oder die tröstet bzw. rechtzeitig zurück zur Ruhe und Ordnung – zur Vernunft – ruft bzw. rufen, kann Menschen so erschüttern, dass sie entweder nie wieder an dieses (vielleicht für andere gar nicht vorhandene) „worst case“-Szenario erinnert werden, also darüber reden möchten, oder dazu animieren, vorbereitend alles dafür zu tun, dass auch anderen Ähnliches möglichst erspart bleibt.

Wer vor allem in der Erinnerung lebt, egal ob einer schönen oder mit traumatischen Erlebnissen verbundenen (und der Sehnsucht danach oder der Angst davor), verpasst manchmal, den Schritt nach vorne zu tun – wenn längst ausgeschlossen ist, dass dieselbe Situation wieder eintreten könnte, weil Menschen entweder vorsichtiger oder noch (nach)lässiger geworden bzw. gar nicht mehr am Leben oder bereit sind, ihr beizuwohnen. Aber: Man kann andere nicht mehr als warnen. – Die Erfahrungen mit ihren eigenen Gefühlen, Erwartungen und (vielleicht fehlenden) Vorsichtsmaßnahmen müssen sie selbst machen, weil niemand sie davor bewahren kann, sie selbst davon überzeugen zu müssen, dass sie auch rational sinnvoll bzw. es nicht sind und daher (vor allem für andere) völlig unvertändlich waren.

Wenn UtopistInnen denken, sie könnten einen Ort schaffen, den es noch gar nicht gibt, überschätzen sie die menschlichen Möglichkeiten auf einer Erde bzw. in einem Universum, das die Regeln vorgibt, welche Veränderungen mit der Zeit überhaupt möglich sind.
Und wenn Dystopien Angst davor schüren, dass alles immer nur schlechter werden kann, fehlt ihnen das Verständnis dafür, dass es gut und schlecht immer nur gemeinsam geben kann – aus einem Gefühl von Angst (dass etwas Gutes schlechter oder etwas Schlechtes vielleicht nie mehr besser werden könnte) oder der Sehnsucht (nach Verbesserungen) heraus.

Das einzige, was Menschen über ihr Menschsein lernen müssten (wenn sich irgendwann niemand mehr in u- oder dystopische Zukunftsvorstellungen verfangen soll und letztendlich irgendwann darin untergehen wird), ist, ihre Emotionen – Ängste bzw. Abneigungen und Sehnsüchte bzw. Vorlieben sinn- und liebe- aber auch kraftvoll, geduldig zu beherrschen. Es wäre meiner Meinungn nach möglich, so entspannt, vertrauensvoll miteinander und rücksichtsvoll aufeinander zu leben, dass Anspannungen, Uneinigkeiten, nicht immer wieder zu Unterdrückung (von Gefühlen oder Bewegungs- bzw. Entscheidungsfreiheiten) führen müssen, sondern – kontrolliert – über unterschiedlichste Ventile entlassen werden können.

Menschen, die überhaupt noch nicht wissen, also sowohl fühlen als auch einsehen können, dass sie sich in einem Teufelskreis befinden, können auch nicht lernen, daraus zu entkommen. Aber im Grunde ist jeder Ort auf dieser Erde (auch innerhalb des Tumultes oder der ruhigen Kreise, in denen man sich bewegt) und jeder Zeitpunkt dazu geeignet, einfach mal überraschend etwas anderes als das Gewohnte – vermeintlich Vernünftigste oder zumindest aktuell „einzig Vernünftige“ – zu tun und vielleicht nicht weiter stillschweigend zu betrachten, wie vor allem

  • „philanthropische WeltverbessererInnen“ (mit ihren völlig unrealistischen Versprechungen bzw. Vorstellungen von der Macht „guter“ Menschen über alles „Böse“ auf der Erde) oder
  • Menschen mit dystopischen „no future“-Fantasien (die z.B. keinerlei oder zumindest wenig Sinn darin sehen, überhaupt noch etwas nachhaltig Sinnvolles für sich selbst, den Erhalt der Biodiversität in der Natur oder die Bewahrung alten Wissens zu tun, weil sie all das ohnehin für verloren oder für ihr eigenes Leben bedeutungslos halten) das Weltgeschehen beherrschen.

Ich weiß, dass es mehr Typen von Menschen gibt als die beiden genannten. Allerdings bin ich mir sicher, dass jeder und jede von uns beide oder zumindest Anteile davon auch in sich erkennen kann. Mit allen Erfahrungen, die ich in meinem Leben schon gemacht habe, würde ich sagen, dass wir uns trotz unendlich vieler Unterschiede alle gar nicht so unähnlich sind, wie viele immer noch denken (die in ihrem Leben noch gar nicht so viel über andere Menschen und die Welt gelernt haben wie sie vielleicht dachten).
Ich lasse mich natürlich gerne eines Besseren belehren – denn dazu bin ich ja Wissenschaftlerin geworden: um nicht alleine in meiner eigens zusammengereimten Fantasiewelt leben zu müssen, sondern möglichst viel über die Wirklichkeit zu erfahren, die alles Leben verbindet.

 

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Dank für das Foto gebührt Matheo JBT (auf Unsplash)!

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