Solidarisch (mit)leiden bis in den Tod
Wie Menschen sich unbewusst freiwillig dazu bereit erklären, ihre eigene Gesundheit zu gefährden oder sogar lebensgefährlich zu schädigen – weil sie es noch oder nicht mehr besser wissen (können)
Menschen sind gutmütige Wesen. Wenn sie andere sehen, die – in ihren Augen (denn sie müssen es verstehen bzw. selbst etwas Ähnliches erlebt haben, also emotional nachvollziehen können) leiden, befällt sie ganz automatisch von Natur aus Mitleid. Sie können es sich aber auch bewusst abgewöhnen, wenn sie
genau(er) hinschauen und erkennen, dass es ein „hausgemachtes“ ist, von dem sich Betroffene nur selbst heilen können;
selbst nichts gegen das Leid ausrichten können, also in dessen Angesicht immer wieder nur das Gefühl von Hilflosigkeit erfahren, bzw.
vielleicht sogar aus ihren – kulturell bedingt – wenig(er) mitleidvollen Gemeinschaften als „Weichlinge“ verlacht oder deshalb sogar aus bestimmten Kreisen ausgeschlossen werden.
Mit Mitleid allein wurde tatsächlich auch noch niemandem geholfen, ohne dass die Ursache des Leids beseitigt oder gelindert, also Trost gespendet und Hoffnung auf Besserung gemacht werden konnte.
Allerdings wird gerne damit gespielt – von Menschen mit Menschenkenntnis, die wissen, wie hilfs- oder sogar opferbereit Menschen sind, denen sie Versprechungen machen können, wie sich gemeinsam Leid beseitigen oder zumindest zukünftiges verhindern lässt.
Leid und schmerzhafte Erfahrungen sind allerdings untrennbar mit einem gesunden Leben verknüpft. Menschen, die keinen Schmerz empfinden oder Schmerzauslöser nicht erkennen können, die ihre Gesundheit bzw. körperliche bzw. geistige Regenerationskraft gefährden, – weil ihre (Selbst-)Wahrnehmung gestört oder unterentwickelt geblieben ist – laufen Gefahr, das zu ignorieren, was von Natur aus überlebenswichtig für uns ist: Die gesunde Balance zwischen (gesundheits-)schädlichen Umwelteinflüssen und Auszeiten davon. Wir brauchen von Natur aus Zeiten, in denen wir uns in Ruhe regenerieren, – entgiften, also geschädigte Zellen abbauen und neue aufbauen – können; damit wir hinterher wieder „von unserem Leiden geheilt„, schmerzfrei und „voll funktionsfähig“ sind.
Die meisten Menschen lernen nichts oder zumindest wenig über die (Regenerations-)Fähigkeiten ihres eigenen Körpers. Sie bekommen von klein an beigebracht, wo sie schnelle Hilfe oder Trost finden, wenn sie unter etwas leiden und alleine nicht weiter wissen. Wer dort nicht das findet, was er oder sie sucht, sucht sich eigene Rückzugsräume von der Realität, in denen die (Schmerz-)Wahrnehmung abgeschaltet werden kann, bzw. schmerzstillende Mittel, berufliche Tätigkeiten oder Freizeitaktivitäten, die dabei helfen, die leidvolle Realität zu ertragen.
Nur wenige hinterfragen den Sinn der eigenen leidvollen Erfahrungen, die – aufgrund unserer Fähigkeit zum Mitleiden – im Kollektiv alle Menschen betreffen. Viele Menschen wundern sich nicht einmal darüber, dass – trotz aller, jahrzehnte- oder sogar jahrtausendealter Bemühungen – vieles in der Welt immer schlimmer zu werden scheint.
Meiner Meinung nach ist es – solange die Menschheit nicht gemeinsam daran arbeitet, den in ihrer (Vor-)Geschichte begründeten Ursachen ihrer unnötigen Leiden auf den Grund zu gehen, um sie nachhaltig zu beseitigen – auf jeden Fall Unsinn, sie solidarisch mit anderen zu teilen, also deren Gewicht(igkeit) auf mehreren Schultern abzuladen, nur um sich selbst damit trösten und leichter fühlen zu können.
Nur die Bereitschaft und die Willenskraft, sich für die eigene (Mit-)Schuld am Leid anderer zu entschuldigen – oder sich von Erblasten, also erblich bedingten körperlichen oder geistigen Einschränkungen zu befreien, – also sowohl sich selbst als auch allen anderen daran Beteiligten zu vergeben bzw. sie oder sich selbst dafür zu entschädigen, kann dafür sorgen, dass mit der Zeit wenigstens das Leid aus der Welt geschafft wird, das uns unsere Vorfahren hinterlassen haben (weil sie keinen anderen Ausweg als den Tod daraus kannten und dachten, damit wäre es auch für alle anderen vorbei).
Es ist eine Lüge, dass jeder Mensch allein für sein eigenes Leid verantwortlich ist und auch nur alleine einen Weg heraus finden kann.
Natürlich kann schon jedes Kind lernen, mit leidvollen Erfahrungen umzugehen oder sich – mit Hilfe des eigenen Geistes und dessen Macht über den eigenen Körper – davor verschließen. Aber: Wir alle sind – wenn auch auf verschlungenen Pfaden – untrennbar miteinander verbunden, nicht erst dadurch, dass wir Mitleid empfinden können, wenn wir Leid sehen oder davon hören, sondern auch dadurch, dass wir es spüren könn(t)en, selbst wenn andere versuchen, es vor uns geheim, unter Verschluss, zu halten. Was in der Welt ist, lässt sich – weil alles in ständigem (Energie-)Fluss ist und sich jede Information in unzählige Richtungen verbreitet – nicht ewig ignorieren und bleibt auch dem oder Letzten nicht auf immer verborgen.
Sich Leid durch (unreflektiertes) Mitleid erträglicher machen oder den Blick darauf möglichst vermeiden.
Sich einreden, man würde selbst gar nicht unter einer aktuellen Situation bzw. zumindest viel weniger als andere leiden.
Sich abzulenken mit Dingen, Tätigkeiten oder Menschen, die – oftmals heuchlerischen – Trost spenden bzw. sich sogar auf Umwegen daran beteiligen, dass andere unsinnig, unnötig viel leiden.
„Heldenhaft“ Symptome bekämpfen oder Schmerzen „tapfer“ unterdrücken.
Das sind die „Erfolgsstrategien“, die die Menschheit dahin gebracht hat, wo sie heute ist.
Viele profitieren enorm davon, dass sie ihr eigenes schlechtes Gewissen (oder unzulängliches Wissen), (Mit-)Schuld an etwas zu tragen, damit beruhigen können, anderen ihres zu nehmen (nachdem sie es ihnen bewusst machen konnten): Krankheiten und Krieg, von Friedensforschung, von Natur- oder Artenschutz, Menschen- oder Tierrettung, von Toten und Friedhöfen, Gedächtnisstätten, Museen, … ) , die mit Notfallhilfe (nach Katastrophen), mit Erinnerungskultur (an Leid) oder Zukunftsforschung (um Leid zu vermeiden), ihr Geld verdienen oder daraus ihre eigene Lebenskraft oder Macht schöpfen, „müssen“ sich – bewusst oder unbewusst – immer wieder neue Opfer suchen bzw. selbst erschaffen, denen sie dann „helfen“ können.
Das Leid in der Welt kann nur nachhaltig beseitigt werden, wenn sich alle, die sich bisher in ihrer Opfer-, Unschulds- oder (Mit-)Schuldigenrollen wohl gefühlt haben – weil ihnen so das Mitleid oder die Verachtung anderer sicher war – zu ihrer gemeinsamen Schuld (oder Dummheit bzw. Naivität) bekennen: dass sie anderen blind geglaubt haben, was sich längst als (Ent-)Täuschung bzw. Halbwahrheit offenbart hat – nämlich als eine einseitige, zensierte Darstellung von Tatsachen bzw. eines großen Gesamtbildes, das unsere (gemeinsame) Realität ausmacht.
Menschen, die sich und anderen zukünftig wirklich helfen und nachhaltig zur Leidvermeidung beitragen möchte, dürfen sich nicht verpflichtet fühlen, solidarisch zu handeln, solange sie sich nicht sicher sind, dass sie damit wirklich zukünftiges Leid verhindern. Sie brauchen Zeit, um sich auf sich selbst – die eigene Vergangenheit, die eigene Gegenwart, die eigenen Erfahrungen und Gefühle sowie Möglichkeiten, etwas an ihrer Situation zu ändern – zu besinnen, also selbstständig zurück durch alle leidvollen Erfahrungen zu gehen, bis sie sie verstanden haben und auch anderen erklären können, welche Mitschuld ihnen zuteil wird bzw. welches Mitleid denen gebührt, die auch darin verwickelt waren.
Niemand trägt die Schuld dafür, was andere aus dem machen, was er oder sie ohne böse Absicht oder Worte in die Welt gebracht.
Aber wer Menschen, die er bzw. sie nicht persönlich kennt und darüber informieren kann, welche Risiken darin lauern könnten, darf sich auch nicht wundern, wenn leichtgläubige, schlecht informierte, Abnehmer und Abnehmerinnen irgendwann eine Entschädigung dafür verlangen, dass sie nicht ehrlich aufgeklärt wurden – falls sie einen körperlichen, geistigen oder seelischen Schaden dadurch erlitten haben. Vielleicht tun sie das irgendwann ja sogar sogar gemeinsam solidarisch, also nicht so einsam, wie sich Menschen in ihrem Leid normalerweise fühlen – weil es im Grunde immer auch ein individuelles ist, das von der eigenen Einstellung zum Leben sowie zum Sterben und zum Tod abhängt.
Ich persönlich glaube nicht, dass mit unserem Tod alles für uns zu Ende ist und dass es in unseren Händen bzw. unserer Verantwortung liegt, welches Leid wir anderen nach uns hinterlassen und welches wir vielleicht sogar endgültig aus der Welt geschafft haben, weil niemand mehr dadurch noch zu Schaden kommen kann.
P.s.: Zu den sinnlosesten Ursachen für menschliches Leid, das vieles weitere nach sich zieht, zählen für mich (die an den Sinn des Lebens glaubt, so wie es ist) die
- eigene Sehnsucht nach einem anderen Leben und/oder schwer – nicht eigenständig, aus eigener Kraft – erreichbaren Zielen, bzw.
- der Neid auf das Leben anderer durch einseitig rosige, verträumte Vorstellungen davon sowie
- begeisterte Schwärmereien unterschiedlichster „Fans“ und bildhafte, vor allem hinreißend-schöne Darstellungen, die Neid in Menschen wecken können, die unter ihrem Leben leiden.
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Dank für das Foto gebührt Ehimetalor Akhere Unuabona (auf Unsplash)!
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