Regionale (oder nationale?) Zivilisationserkrankungen I: Zeitdruck

Leben mit der Angst, lebenswichtige Termine zu verpassen, bzw. ohne Angst, die eigene Lebenszeit damit zu verbringen, sich nach den (Zeit-)Vorgaben anderer zu richten

Die „deutsche Pünktlichkeit“ war – genauso wie einst „Wertarbeit“ – besonders in der Vergangenheit für viele ein Grund, stolz zu sein.
ich persönlich frage mich allerdings, weil zwar alles auf einen Punkt gebracht – oder auf bestimmte Werte oder Qualitätsmerkmale „heruntergebrochen“ – werden, dabei aber auch viel verloren gehen kann, warum?

Stolz darauf, andere wichtige Tätigkeiten einfach abbrechen zu können, um pünktlich zu einem – vermeintlich – wichtigeren Termin zu erscheinen?
Stolz darauf, die eigene Intuition oder spontan auftretende Gefühle (des Unwohlseins) erfolgreich unterdrücken und stattdessen ein (termin-)planmäßiges Leben führen zu können?
Stolz darauf, sich möglichst wenige oder pausenlos Termine setzen zu können, also entweder gut Zeit schinden oder sich abhetzen zu können?

Ich bin nicht sicher, ob Menschen

  • Routinen bzw. die Aussicht, sich auf etwas verlassen zu können, was andere ihnen vorgeben, tatsächlich lieben, oder sie
  • sich wirklich gern in immer denselben Kreisen bewegen und vor allem sich selbst dabei – wie mechanische Uhrwerke – im Kreis drehen (statt sich weiterzuentwickeln).

Aber ich habe den Eindruck, dass viele es vorziehen, sich darauf verlassen zu können, dass in ihrem Leben möglichst nichts oder zumindest wenig geschieht, worauf sie nicht gut vorbereitet sind. Unter Druck zu stehen mag Menschen das Gefühl geben, von etwas gehalten – statt in eine vorgegebene Form gepresst – zu werden. Wenn ihr (Zeit-)Druck irgendwann abfällt, bedeutet das für viele, ihren Halt bzw. alles zu verlieren, was ihrem Leben Struktur, vielleicht sogar einen Sinn gegeben hat.

Ich bin sicher, dass es vieles im Leben gibt, was man auch „mal schnell“ erledigen kann, wenn es unbedingt sein „muss“, sich also dringlich anfühlt. Dass aber wirklich „gut‘ Ding“ Weile haben will, also Zeit – nicht nur zum Nachdenken und Nachspüren, sondern auch dazu, sich möglichst umfassend Informationen dazu einzuholen, warum es eigentlich sinnvoll oder besser als alles, was bereits da ist bzw. wofür überhaupt notwendig sein soll – braucht bzw. mehr davon brauchen würde als in der Vergangenheit dafür investiert wurde, davon überzeugen mich unzählige, völlig überflüssige „moderne“ Dinge und Probleme, die uns Menschen eingehandelt haben, die „ihrer Zeit voraus sein“ wollten, also offensichtlich unter Zeitdruck standen.

Ich kann nur allen wünschen, dass sie sich davon heilen, bevor ihr Körper zu sehr darunter leidet. Denn je länger man dessen Bedürfnis nach Ruhe und Erholung bzw. Zeit ganz für sich allein ignoriert, umso schwerer wird es, ihm das Gefühl zu vermitteln, wie entspannend es sein kann, einfach mal überhaupt nichts tun zu müssen. in Kenntnis von Naturgesetzen, also im Vertrauen darauf, dass alles in der Natur einen bestimmten Lauf nimmt, egal ob Menschen einen eigenen Ablaufplan dafür erstellt haben oder nicht, lebt es sich jedenfalls leichter oder schwerer: Je nachdem, ob man die Natur liebt, wie sie ist, – mit all den „richtigen Zeitpunkten“, die von der Sonne, dem Mond oder ihren unzähligen anderen Kreisläufen bestimmt werden – oder ob man sie lieber „verbessern“, also willkürlich verändern oder zu jeder Zeit, ohne erst lange nachdenken oder (sich selbst) Fragen stellen zu müssen, nutzen möchte, kann man sich selbst jedenfalls viel (Zeit-)Druck nehmen oder machen.
Ich würde empfehlen, ihn möglichst nachhaltig einzusetzen: z.B. dafür, anderen damit die Luft aus den Segeln zu nehmen, die unbedingt (schnell oder langsam) schnell vorankommen wollen, aber nicht merken, in welchem menschen(hand)gemachten, kopfgesteuerten oder aus emotionalen Traumata entstandenen (Teufels-)Kreis sie sich bewegen – weil sie zu beschäftigt oder verträumt-begeistert „bei der Sache“ sind, um sich ihre Umgebung genauer anzuschauen bzw. bewusst zu sein, aus welcher Zeit sie stammen und wann bzw. wie diese enden könnte.

 

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Dank für das Foto gebührt Heather Zabriskie (auf Unsplash)!

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