Fortschrittliches (Erwachsenen-)Leben?
Oder infantiler, von (Verlust-, Versagens- oder Bindungs-)Ängsten oder Erfolgsdruck geleiteter, „falscher“ Ehrgeiz, dem „echten Leben“ zu entfliehen?
Unsere Welt wird nicht von erwachsenen, vernünftig handelnden Menschen regiert, sondern von „gut“ erzogenen Menschen, die sich von Geld(gier), ihrem Perfektionismus, freiheitlichen oder regelkonformen Idealvorstellungen bzw. einer Angst vor Armut oder Einsamkeit leiten lassen. Gleichzeitig brauchen sie – um sich in ihrem Alltag überhaupt zurechtzufinden bzw. ihr „fortschrittliches“ Leben führen zu können – Maschinen oder andere Werk- und Spielzeuge, Ratschläge, Anleitungen, also diverseste „Hilfsmittel“: Produkte oder Dienstleistungen anderer Menschen, die sie sich kaufen „können“.
Unser aller Lebensraum wird von Menschen besetzt, die sich auch im Erwachsenenalter wie kleine Kinder verhalten,
- denen die Welt zu gefährlich erscheint als dass sie darin selbstständig – ohne staatliche Unterstützung bzw. Absicherung, mobile Fortbewegungsmittel oder „weise Voraussicht“ bzw. vielfach sogar die Erlaubnis anderer – leben und Entscheidungen darüber treffen könnten, welche Schritte sie in Richtung ihrer eigenen Zukunft gehen wollen,
- deren Denkfähigkeiten noch nicht ausgebildet genug sind, um die Folgen dessen, was sie wollen oder tun, abschätzen zu können, oder
- die sich – aus Angst vor den Folgen – noch (oder wieder) streng an die Regeln oder Verträge und auswendiggelernten Glaubenssätze halten, die andere (in der Vergangenheit) für sie aufgestellt bzw. ihnen plausibel gemacht haben.
Ein Großteil der Menschheit hat nie beigebracht bekommen oder vergessen, dass unser Körper nicht nur zum Vorwärtsgehen, –Kriechen oder Umdrehen und Weglaufen, zum Buckeln oder Geradestehen gedacht ist, sondern dass er – genau wie unser Geist, wenn wir beides gesund halten wollen – Abwechslung und auch noch im Erwachsenenalter die Freiheit braucht, immer wieder etwas völlig anders machen zu können. Angewohnheiten und Routinen geben ängstlichen, vom Leben überforderten Menschen – wie instinktiv, nach arteigenen gewohnten Mustern oder Ritualen, handelnden Tieren – zwar Sicherheiten, sind aber auf Dauer Gift sowohl für ihre Beweglichkeit als auch ihre Kreativität.
Menschen, die in ihrer körperlichen Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind – weil sie abhängig von bestimmten Menschen sind oder ihre gewohnten Umgebungen ungerne verlassen – können ihre geistige Kreativität – ihre Fantasie – in Kombination mit Körperübungen nutzen, um auch auf begrenztem Raum gesund und flexibel zu bleiben. Wer dagegen die Möglichkeit hat, sich jederzeit völlig frei bewegen zu können, ohne sich erst Gedanken über Gefahren auf dem Weg oder am Ziel machen zu müssen oder wollen, muss – um das eigene Leben nicht unnötigen Gefahren auszusetzen – mit allem rechnen, also auf jede, auch böse Überraschung gefasst sein, die ihn oder sie zu Boden zwingen könnte.
Körper und Geist lassen sich weder durch Untätigkeit oder sich ständig gleichartige, gleichmäßig wiederholende Bewegungen konservieren noch lässt sich verhindern, dass sie durch unerwartete, plötzliche „Angriffe“ zeitweise überstrapaziert werden können, so dass sie hinterher wieder genug Zeit und Nahrung zur Erholung brauchen bzw. für Übungen, um neue Kraft oder Beweglichkeit aufzubauen. Wer sie nicht regelmäßig gleichzeitig trainiert, läuft mit zunehmendem Alter Gefahr, entweder die Fähigkeiten des eigenen Körpers oder des eigenen Geistes – je nach tatsächlicher Überbe- oder sinnvoller Auslastung – zu über- oder unterschätzen.
Als Spiegel der Seele bzw. Ausdrucksformen des Geistes verraten die Körperhaltungen und -formen der Menschen viel, wenn natürlich auch nicht alles, über ihren Bewusstseinsstand.
Es ist menschlich, sich von Dingen (oder Menschen) verzaubern zu lassen, die neu oder jung und kräftig bzw. standhaft aussehen und vielleicht sogar versprechen, dafür zu sorgen, dass es in Zukunft keine Altersbeschwerden mehr geben wird bzw. niemand mehr darunter leiden muss, von ihrem Leben gezeichnete Generationen versorgen zu müssen. Von Natur aus ist der Homo sapiens allerdings vor allem mit zunehmendem Alter und Interesse an den Erfahrungen, die Menschen bereits in der Vergangenheit gesammelt haben, dazu in der Lage, zu erkennen – zu realisieren -, dass die Zukunft wenig mit Wissenschaft und ernstzunehmenden Berechnungen zu tun hat, sondern Prognosen immer ein Glücksspiel sind und wir die Verantwortung für alles, was wir auf Geheiß anderer tun, am Ende selbst tragen werden.
Wir könnten im Grunde freiwillig aufhören, Lebenszeit damit zu verlieren, uns (sinnlos) mit Dingen zu beschäftigen, die weder unserer eigenen Gesundheit und unserem Wohlbefinden dienen noch einer lebenswerten Zukunft in (für Gäste oder Rat und Hilfe Suchenden) offenen Gemeinschaften mit unterschiedlichsten Menschen oder sogar einem Leben im Einklang mit der ganzen Natur und den Rhythmen, die sie vorgibt.
Menschen könnten es sein lassen, Zeit damit zu verschwenden, das Unaufhaltsame aufhalten, also Vergängliches unvergänglich machen oder das Unvorhersehbare verhindern zu wollen. Die Welt dreht sich auch ohne unser Zutun jeden Tag weiter, und das menschliche Bewusstsein wächst automatisch mit jeder Erfahrung, die es macht.
Niemand kann sich etwas (heraus-)nehmen, ohne – beim Fortschreiten – auf irgendeine Weise mit der eigenen Lebenszeit oder -qualität (also körperlichem, geistigen und seelischem Wohlbefinden) dafür zu bezahlen. Dass unser „Fortschritt“ also tatsächlich einer ist, der Menschen ihr Leben leichter macht oder dazu beiträgt, ihr/e Leid/en erträglicher zu machen, wage ich – schon seit Jahrzehnten – zu bezweifeln.
Ich bin allerdings nur eine Naturwissenschaftlerin, die weiß, dass man damit leben können muss, dass die eigenen wissenschaftlichen Thesen nur so lange ihre Gültigkeit haben, bis sie jemand widerlegt. Also werde ich weiter beobachten, zuhören und – sobald ich etwas nicht mehr verstehe – so lange Fragen stellen, bis sie für mich geklärt sind.
Das bedeutet auch, dass ich weiterhin in Frage stellen werde, welche „Möglichkeiten“ andere mir eröffnen oder was sie mir vorschreiben oder schmackhaft machen wollen, wenn ich überhaupt keinen Sinn, sondern eher nur Nachteile für mich und vor allem für den Erhalt unserer Ökosysteme darin erkennen kann, von denen unser aller Leben abhängt.
P.s.: Wer noch keine Vergangenheit hat, kann leicht so tun, als gäbe es sie nicht bzw. als wäre nur die Zukunft wichtig; und manchmal ist es gut, gemeinsam zu beschließen, die Vergangenheit einfach ruhen zu lassen, vor allem, wenn man möglichst unbefangen in die Zukunft gehen möchte. Solange es aber noch Menschen gibt, die Einwände dagegen haben, – weil sie nicht verstehen, warum sie unter dem leiden sollen, was „vor ihrer Zeit“ geschehen ist oder ohne ihre Zustimmung beschlossen wurde – kann es meiner Meinung nach fatal sein, sie einfach übergehen bzw. mit „fortschrittlicheren Ideen“ und schöneren Zukunftsaussichten vertrösten zu wollen.
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Dank für das Foto gebührt Eugene Zhyvchik (auf Unsplash)!
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