Selbstverstümmelung als Schönheitsideal

Wenn Menschen ihrem inneren Schmerz äußerlich Ausdruck verleihen (und sich damit auf Dauer wahrscheinlich selbst schaden)

Ich habe kürzlich die meisten meiner Piercings abgelegt bzw. aus den Löchern – Kanälen – herausgenommen, die ich teilweise vor sehr langer Zeit in meinen Körper habe stechen lassen. Nicht, weil ich sie nicht mehr schön finden würde, sondern weil ich denke, dass es nicht gesund ist, mit Metallen natürliche Energie- bzw. Nervenbahnen zu unterbrechen bzw. sie mit metallischen Eigenschaften zu beeinflussen.
Ich habe den Eindruck, dass Menschen – wenn ihre Seele unter etwas leidet und es ihnen nicht gelingt, sie vernünftig, also mit Hilfe ihres Verstandes, zu trösten – ihren Schmerz offen zeigen müssen, (wenn sie deswegen nicht in eine Depression fallen und einsam daran zugrunde gehen wollen). Denn so ziehen sie – bewusst oder unbewusst – Gleichgesinnte an, bei denen sie auf Verständnis stoßen und mit denen sie sich gegenseitig trösten können, das heißt Mut zusprechen, dass es sich lohnt, trotz ihres – vielleicht untröstlichen – Schmerzes weiterzumachen.

Wenn Menschen unter etwas leiden, was sich nicht wiedergutmachen lässt bzw. woran sie selbst nichts ändern können, z.B. an dem Verlust eines geliebten Menschens, Tieres oder von Lebensräumen, die sie entweder verlassen mussten oder die andere (mutwillig oder ignorant und zu unerreichbar, um sie davon abhalten zu können ) zerstören, müssen sie lernen, damit zu leben und sich mit dem Schmerz als zukünftigem Begleiter abzufinden. Menschen können sich – wie alle anderen Lebewesen auch an Schmerzen gewöhnen, ohne dass sie ihnen irgendwann noch bewusst sind, vor allem, wenn sie sie für notwendig halten.
Schmerzerfahrung ist subjektiv, für diejenigen, denen von anderen – bewusst oder unbewusst – Leid zugefügt wird. Es gibt unzählige Menschen, die aufgrund traumatischer Erfahrungen ihr Körpergefühl bzw. die Verbindung zu ihrem Schmerzzentrum im Gehirn verloren und daher eine gestörte, gesundheitsschädliche Wahrnehmung ihrer selbst haben. Aber dass etwas schmerzen sollte, weil es dem Körper Schaden zufügt – Eingriffe mit Nadeln, Skalpellen, Bohrern etc. oder auch unnatürliche körperliche Verbiegungen oder dauerhaft einseitige Fehlhaltungen – lässt sich spannender-, überraschenderweise weiterhin mitfühlen bzw. durch Mitleid, empathisch, nur im Geist erfahren.
Du kannst Menschen immer glauben, wenn sie behaupten, dass sie – auch ohne Betäubungsmittel – keinen oder wenig Schmerz bei Eingriffen in ihre körperliche Unversehrtheit gefühlt haben. – Denn unser Körper schüttet – um uns vor allzu schmerzhaften Erfahrungen zu schützen – Endorphine aus: sobald sie sich psychisch bzw. mit Ablenkungsmanövern, die sie sich antrainiert haben, auf körperliche Schmerzen vorbereiten können, sind die meisten von uns gut dafür gewappnet (in dem Wissen, dass auch schon andere Menschen vor ihnen – vermeintlich ohne jeglichen Schaden davonzutragen – durch diesen Schmerz gegangen sind).

Alle Wunden können heilen. Allerdings hinterlassen sie Narben, die Menschen gesundheitliche – körperliche, geistige oder seelische – Probleme machen können, wenn sie sie immer wieder an eine schmerzhafte Erfahrung erinnern, für die ihnen das Verständnis fehlt.
Erst wenn wir verstehen,

  • warum unser Leben ist, wie es ist;
  • warum wir sind, wie wir sind, und
  • wofür unsere schmerzhaften (oder guten) Erfahrungen gut sind, die uns zu mehr Vorsicht (oder Mut) aufrufen und vor Wiederholungstaten bewahren (oder Laune darauf machen) bzw. dazu bringen können, andere zu warnen (oder anzuspornen), dieselben leidvollen (oder freudigen) Erfahrungen machen zu müssen (bzw. dürfen),

können wir beginnen, sie sinnvoll mit anderen zu teilen, so dass sie keine Belastung mehr für uns allein darstellen (sondern in das Universalbewusstsein der Menschheit, auf das wir alle Zugriff haben, eingehen). Wenn es nicht genug Bewusstsein für die Folgen dessen gibt, was wir unserem Körper (bzw. auch unserem Geist und unserer Seele bzw. anderen) antun (können), – sei es in Form von Verletzungen, willkürlichen „Zwangsmaßnahmen„, Ernährung oder Bewegungseinschränkungen – braucht niemand erwarten oder darauf hoffen, dass sich irgendetwas daran ändert, dass die Anzahl unserer körperlich, geistig und/oder seelisch Zivilisationskranken und -gestörten weiter steigt.

Wir haben nur einen Körper (und vermutlich auch Geist bzw. Verstand, der auf unserer Gehirntätigkeit und dem, was unser Körper dazu fühlt, beruht), den wir – wenn wir ihn möglichst lange behalten wollen – nicht allzu oft malträtieren, misshandeln, sollten (im Glauben, dass er sich mit Hilfe eines Gesundheitssystems bzw. von ÄrztInnen und MedizinerInnen oder andere studierten und praktizierenden WissenschaftlerInnen – wie eine Maschine – immer wieder wiederherstellen ließe). Unter Nutzung ihrer Vernunft und mit entsprechender Körperkonditionierung könn(t)en alle Menschen mehr auf sich und ihre Gesundheit – ihre körperliche sowie geistige und seelische Unversehrtheit – achten (und vor allem ihre Schönheitsideale in Frage stellen).
Ob sie es tun, bleibt ihnen selbst überlassen. Jede/r muss ihr bzw. sein Leben allein (oder in Gemeinschaften aus besonders schön gemachten oder auch weniger herausgeputzten, gesunden oder kranken, fröhlichen oder leidenden, sehr ähnlichen oder auffällig diversen Menschen, die sie oder er für sich gewählt hat), als Individuum in einem großen Gefüge aus unzähligen anderen Lebewesen führen – so schmerzhaft diese Erkenntnis für viele Menschen vielleicht auch (noch) ist.

P.s.: Es ist keine Heldentat, das eigene Bewusstsein und Schmerzempfinden ausschalten bzw. von der Körperebene abkoppeln zu können. – Es ist entweder ein unbewusst stattfindender natürlicher Selbstschutzmechanisus (vor allem im Kindesalter) oder eine bewusst eingesetzte Technik (häufig von schmerzgeplagten Menschen, um ihr Leid zu überwinden). Weil ich an den Sinn von schmerzhaften Warnungen glaube bzw. weiß, dass (Selbst-)Heilung nur stattfinden kann, wenn man den Ursache/n von Schmerzen auf den Grund geht, bis man sie sicher kennt, und sich genügend Zeit gibt, um sich davon zu regenerieren, bzw. lernt, vernünftig damit umzugehen, sind die Folgen für Körper, Geist und/oder Seele unabsehbar (wenn für den eigenen Organismus lebensbedrohliche Schmerzen wiederholt ignoriert – aus Gewohnheit nicht erkannt – werden).

 

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Dank für das Foto gebührt Tom Morbey (auf Unsplash)!

 

 

 

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