Vom angeblichen Gerechtigkeitssinn (und Gespür für heldenInnenhafte Taten) der Menschen
Solange sich nur staatlich ernannte GesetzeshüterInnen und Menschen, die es sich mit HeldInnentaten verdient haben, sich um Recht und Gerechtigkeit in der Welt kümmern dürfen oder sogar sollen, kann es keine gerechten Strafen für menschliche Vergehen geben, die auf ungleich verteilte Informationen oder fehlende Ressourcen und daraus entstandene Wissensdefizite und einen Mangel an alternativen Handlungsmöglichkeiten zurückzuführen sind
Ich vermute, die meisten Menschen haben ein Gespür dafür, was Ungerechtigkeiten sind, sobald sie sehen oder spüren, dass jemand – seien es andere Menschen oder Tiere, vielleicht auch Pflanzen wie Bäume oder blühende Kräuter und Stauden – leidet oder deswegen stirbt.
Aber wissen sie deshalb, was – ohne dass nachgefragt werden könnte oder Hintergründe und Absichten geklärt werden müssten, die dazu geführt haben, dass jemand leidet oder stirbt – von Natur aus wirklich gerechte Verteilungen oder auch Strafen sind? Vielleicht hätten noch viel mehr andere gelitten oder wären gestorben, wenn das vermeintliche Unrecht nicht stattgefunden hätte? Oder vielleicht hat eine freiwillige Absicht der oder der Leidenden dahinter gesteckt, Leid oder Tod sicht- oder fühlbar auch für andere zu machen (um damit zu verhindern, dass sie selbst einmal unnötig früh davon ereilt werden)?
Gerechtigkeit herrscht, wenn alle mit einem vorläufigen Endergebnis zufrieden sind. Bei einer Verteilung von Ressourcen (die auch Strafarbeiten sein können) könnte man alle, denen sie zugeteilt wurden, befragen oder ihre Zufriedenheit anhand von bestimmten Merkmalen „abfragen“, also beurteilen. Bei Straftaten neigen Menschen dazu, nur die TäterInnen zu verurteilen, während Opfer nicht gezwungen werden, sich damit auseinanderzusetzen, warum sie zum Opfer geworden sind. Genauso wenig wie TäterInnen wahrscheinlich selten bis nie ein eigenes Urteil abgeben dürfen, ihre Tat/en bzw. ihre Beweggründe erklären oder sie so gut wie möglich wiedergutmachen, sich also dafür entschuldigen oder ihre Opfer um Verzeihung bitten könnten oder müssten, müssen ihre Opfer geloben, in der Zukunft dafür zu sorgen, dass sie sich nicht immer wieder in die unterlegene Opferrolle begeben und andere, von Natur aus aggressivere Menschen vielleicht unbewusst dazu verleiten, sich mit ihnen anzulegen
In meiner Wahrnehmung – von der ich wünschte, sie hätte wenig mit der Realität zu tun – übernehmen JuristInnen häufig die Rolle von HeldInnen oder RächerInnen für andere, die sich nicht selbst verteidigen oder vor – verbalen oder körperlichen – Angriffen schützen können, nicht von Menschen, die versuchen, Straftaten ehrlich aufzuklären, um sie zukünftig sinnvoller verhindern zu können als mit der – vermeintlich – abschreckenden Wirkung von Strafen oder der Erziehung angeblich schlechterer, böser Menschen.
Genauso wenig wie die Androhung von Strafen jemals dafür gesorgt hat, dass Drogenkonsum zurückging – weil es immer viel mehr Menschen gibt, die Verlockungen erliegen als Menschen, die sich aus Angst vor strafen davon abhalten lassen – war meiner Meinung nach unsere Verbotskultur jemals dazu gedacht, Menschen davon abzuhalten, zu StraftäterInnen zu werden. Umso mehr es davon gibt, umso besser für diejenigen, die
- Gefängnisse betreiben und deren Arbeitsplatz davon abhängt, dass es Straftaten, Gerichte und Gefängnisse oder andere Strafanstalten gibt;
- davon profitieren, dass Menschen in ständiger Angst vor VerbrecherInnen – in fremder Person oder der eigenen Haut – gehalten werden (weil sich ängstliche Menschen leichter führen bzw. von Sicherheitsversprechungen verlocken und damit kontrollieren lassen);
- für sich beanspruchen (dürfen?), Recht zu sprechen über andere Menschen, sich also zutrauen, Gut und Böse unterscheiden zu können.
In der Natur gibt es keine Guten und Bösen. In der Natur hat alles einen Sinn – etwas daraus zu lernen oder nicht; sich persönlich weiterentwickeln und stärker oder widerstandskräftiger oder vor- und nachsichtiger gegenüber anderen werden zu können oder nicht.
In unserem aktuellen Un-Rechtssystem kann ich genauso wenig Sinn erkennen wie in allen anderen unseren Systemen, sei es das Bildungs-, Gesundheits- oder Sozialsystem.
Als Lebenswissenschaftlerin bin ich überzeugt, dass es vor allem darin begründet liegt, dass wir nur einen Sinn für Unrecht, aber (noch?) gar keinen für Recht (oder Rechte, die Menschen zugesprochen werden) haben – weil wir dazu viel länger miteinander kommunizieren müssten als es bisher getan wurde.
Ich wüsste nicht, wann mit allen Menschen geklärt wurde, ob sie eigentlich mit den „rechtlichen Lösungen“ wirklich zufrieden sind, an die sie sich in ihrem Leben halten sollen, nur weil andere sie beschlossen haben. Ich halte nicht nur PolitikerInnen für überheblich, die annehmen, dass die Mehrheit der Menschen wirklich einverstanden mit Dingen ist, mit denen sie sich aus Gutmütigkeit, fehlender emotionaler Betroffenheit oder aufgrund anderer Prioritäten abfindet.
Immerhin stellen immer mehr Menschen – Menschen, die Zusammenhänge bisher noch nicht sehen oder zumindest spüren konnten, dass auch Themen wie (Gesellschafts-)Politik oder Geschichte ihr eigenes Leben direkt betreffen, auch wenn sie an der Vergangenheit nichts mehr ändern können – fest, dass es nicht sehr viele „wichtigere Dinge“ zu tun gibt als ihr Recht auf Bildung und ehrliche Aufklärung (über öffentliche Medien), zumindest für zukünftige Generationen, einzufordern.
Ich bin überzeugt, dass wenn alles Unrecht erst einmal transparent offengelegt würde, das in unserer menschlichen Vergangenheit im Namen des Rechts und der Gerechtigkeit (oder Gottes oder mächtiger, global agierender „UnternehmerInnen“) an Menschen in aller Welt (oder auch an anderen Lebewesen und der Natur) verübt wurde, würde die Mehrheit der Menschen nicht mehr zulassen, dass weiterhin
- nur PolitikerInnen und StaatsdienerInnen für „Recht und Ordnung“ zuständig sein dürfen oder
- unzählige Menschenleben für politische – also angeblich höhere – Ziele geopfert werden, während öffentlich behauptet und über Medien verbreitet werden darf, die dazu erforderlichen Maßnahmen seien notwendig und alternativlos bzw. würden allen oder zumindest der Mehrheit der Menschen dienen.
Vielleicht gehört es zum natürlichen, evolutionären Lernprozess der Menschheit? Wir haben gelernt bzw. umfassend wissenschaftlich erforscht, wie wir unsere körperlichen Sinnesorgane wie Augen, Ohren, Nase, Haut- und andere Zellen auf den Oberflächen unserer inneren und äußeren Organen nutzen bzw. uns auch in ihnen täuschen können. Jetzt haben wir die Möglichkeit, unseren Sinn für Recht und Gerechtigkeit, Wissen und Gewissen(haftigkeit) zu überprüfen.
Ob wir uns zu einer friedlicheren, nachsichtigeren gegenüber menschlichen Schwächen und Bedürfnissen, oder eine kriegerischere Gesellschaft sein wird, die brutal jeden und jede bestraft, der oder die sich auch mal schwach oder bedürftig zeigt und nicht in Selbstbeherrschung üben will, das wird sich zeigen.
Ich denke, viel ungerechter kann sie kaum werden.
P.s.: Es ist genauso wenig ein Heldentat, nur still vor sich hin zu leiden (und die eigene körperliche Gesundheit, geistige Ausgeglichenheit oder seelische Zufriedenheit davon zerstören zu lassen, dass Selbstmitleid den eigenen Körper von innen her auffrisst), wie Menschen, unter denen andere leiden, – ohne zu fragen, warum sie tun, was sie tun – zu VerbrecherInnen zu erklären und sie zu verfolgen oder von PolizistInnen oder anderen im Voraus bezahlten KopfgeldjägerInnen verfolgen zu lassen und vor ein Gericht zu bringen (das verspricht, Gerechtigkeit walten zu lassen). Beides zeugt für mich von kindlicher Naivität und wenig Menschen- oder Geschichtskenntnis. Erwachsen (und vielleicht auch fähig, Gerechtigkeitssinn zu entwickeln) wird man als Mensch allerdings nicht einfach dadurch, dass man ein bestimmtes – fortpflanzungs- oder gesellschaftsfähiges – Alter erreicht oder bewiesen hat, dass man sich auch gegen Ältere, Lebenserfahrenere, durchsetzen oder zumindest mit ihnen messen kann (ohne erklären zu können oder müssen, warum man als soziales Wesen überhaupt versucht, sich gegen andere durchzusetzen oder an ihren Kräften zu messen).
P.p.s.: Zufriedenheit mit sich selbst und den eigenen (HeldInnen-)Taten entsteht aus dem Gefühl, selbstständig, ohne fremde Hilfe, etwas für sich – den eigenen Körper, Geist oder die eigene Seele – oder für andere getan hat (ohne dabei Schaden angerichtet, also ein schlechtes Gewissen zu haben). Für Kinder und Menschen, die sich der Folgen all ihrer Handlungen (noch) nicht bewusst sind, weil sie sie nicht ausreichend durchdacht haben, ist die Welt so in (friedlicher) Ordnung/Unordnung. Sie merken wahrscheinlich selten selbst, dass sie dabei gar kein Selbstvertrauen, sondern nur Ehrgeiz und neuen Erfolgsdruck entwickeln (und ihre kreative Vorstellungskraft darunter leidet), dass sie immer erst auch einen Effekt, ein zufriedenstellendes Ergebnis, sehen wollen, das sie auch anderen zeigen können (die sonst auch nicht genug Fantasie bzw. eigene Erfahrungen haben, um zu verstehen, was sie in ihrem Leben erreicht haben).
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Dank für das Foto gebührt Tom Barrett (auf Unsplash)!
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