Der zunehmend verlorenere Sinn ehrlicher Wissenschaft zugunsten von Kommerz

Wenn Wissensgewinn ökonomischen Interessen weichen muss und aus kritischen WissenschaftlerInnen WissenschaftsleugnerInnen werden

Als naive Studienanfängerin dachte ich noch, dass studieren bedeutet, sich das Wissen anderer Menschen anzueignen und es dann einfach anzuwenden …
Mir war nicht bewusst, dass täglich neues Wissen dadurch gewonnen wird, dass WissenschaftlerInnen feststellen, dass WissenschaftlerInnen vor ihnen vieles noch gar nicht bedacht hatten: Wissen hat keine Grenzen.
Wissen kann immer wieder durch einen neuen Versuchsaufbau – zu einem neuen Zeitpunkt, an einem anderen Ort – oder durch die Betrachtung der bisherigen Ergebnisse aus einer neuen Perspektive erweitert werden.
WissenschaftlerInnen dürfen nie davon ausgehen, dass sie selbst an alles gedacht haben, was ihre eigenen Forschungsergebnisse – die sie selbst durch die Wahl bestimmter Versuchsbedingungen und ProbandInnen oder die Nutzung bestimmter Versuchsmaterialien und Methoden produziert haben – wieder in Frage stellen könnte.
Aber WissenschaftlerInnen müssenwenn sie mit ihrem Wissen und ihren Forschungsergebnissen Geld verdienen wollen – so tun, als

  • hätten sie natürlich alles bedacht;
  • könnten nur sie etwas genau wissen;
  • als hätte es etwas wie ihr Ergebnis noch nie vorher gegeben;
  • als wäre das, was sie entdeckt oder produziert haben, dazu geeignet, Probleme endgültig zu lösen und/oder zukünftig keine neuen aufkommen zu lassen o.ä.

WissenschaftlerInnen, von denen eine Gesellschaft gleichzeitig innovative wie fertige Produkte oder nachhaltig wirkungsvolle Lösungen für ihre Sorgen und Probleme fordert, dürfen nicht zugeben, dass sie die gar nicht liefern, sondern Menschen nur auf neue, eigenen Ideen bringen bzw. ihnen verbesserungsfähige Produkte anbieten können, mit denen sie selbstständig weiterarbeiten müss(t)en.

Für mich ist die moderne Wissenschaft ein ähnlich modernes Lügengebäude wie Staaten, Kirchen, Schulen etc., in denen selten ehrlich darüber gesprochen wird, was Menschen wirklich wissen (können) und was sie nur glauben zu wissen; auf die immer noch täglich ein Steinchen draufgesetzt wird, statt zuzugeben, dass es längst voll ist; in dem alle unangenehmen Themen immer wieder unter den Teppich gekehrt statt offen auf den Tisch gelegt werden.
Für mich ist die Wissenschaft, genauso wie der Staat, die Kirche oder Religionsgemeinschaft und die Schule bzw. das Bildungssystem u.v.a. das, woran viele Menschen glauben wollen, weil sie selbst gar nicht wissen, woran sie sonst glauben oder was sie sonst in ihrem Leben tun sollten.
Als Wissenschaftlerin darf ich das eigentlich gar nicht schreiben – weil ich damit den Sinn der Wissenschaft, so wie sie heute betrieben und finanziert bzw. zu wirtschaftlichen Zwecken genutzt, also kommerzialisiert wird, hinterfrage, also im Prinzip leugne, dass sie so überhaupt noch Sinn macht, also dem Sinn dient, den Menschen zu dienen (statt ihnen angeblich so wenig wie möglich zu schaden).

Mir ist egal, wer mir was unterstellt. Ich weiß, was nur ich selbst wissen kann; und ich weiß, was ich vom Leben und aus der Natur gelernt habe.
Ich habe mich schon zu Studienzeiten mit sogenannter pseudo- und nicht-wissenschaftlicher Literatur beschäftigt und mich gefragt, was daran weniger wissenschaftlich sein soll als an vielen Schriften anerkannter WissenschaftlerInnen.
Heute weiß ich immerhin auch, nicht erst seit letztem Jahr, wie WissenschaftlerInnen zu – gesellschaftlich, staatlich, von den Medien, rechtlich … – anerkannten werden bzw. wie nicht, wenn sie nämlich offen und ehrlich

  • mit Menschen kommunizieren möchten;
  • ihre wissenschaftliche Meinung und das sagen, was sie selbst damit anfangen würden – statt was andere damit anfangen sollen;
  • zugeben, dass sie nicht in die Zukunft schauen und wissen können, welche Folgen ihre Forschungsergebnisse, neuen Erkenntnisse bzw. entwickelten Produkte in der praktischen Anwendung haben werden.

Findige, auf ihre Finanzierung angewiesene WissenschaftlerInnen lassen sich – genauso wie andere kreative VerkäuferInnen und DienstleisterInnen oder PolitikerInnen – natürlich immer wieder etwas einfallen, um zu erklären, warum es zu ihren Produkten oder Lösungswegen keine Alternative geben kann.
Bis all ihre Irrtümer irgendwann aus der Welt geschafft wurden, wird es vermutlich noch eine Weile dauern, vor allem, so lange noch nicht alle Menschen einsehen, dass es ihr Irrtum war, sich so lange einfach nur blind darauf zu verlassen, was WissenschaftlerInnen herausgefunden haben – ohne erst einmal vorsichtig zu überprüfen, ob sie damit überhaupt richtig liegen können, ob also ihre Forschungsergebnisse und Erkenntnisse nachvollziehbar bzw. nachprüfbar sind und auch für sie selbst, in einer völlig anderen Situation, an einem ganz anderen Ort der Welt, Sinn ergeben.

P.s.: Ich glaube übrigens nicht, dass es viele WissenschaftlerInnen gibt, die Absolutheitsansprüche an ihre Forschung stellen. – Aber wenn Menschen sich ihnen gegenüber so demütig verhalten, dass sie sie ihnen im Grunde freiwillig übertragen, – ihre Meinung unkritisch hinnehmen – dürfen die sich auch nicht wundern, wenn WissenschaftlerInnen sie dankbar annehmen und sich damit ein schönes Leben finanzieren.
Wenn Du ein Mensch bist, der/die nicht selbst wissenschaftlich arbeiten – (sich) Fragen stellen, denken, recherchieren oder selbst experimentieren – möchte, beschwere Dich bitte nicht irgendwann, dass andere das ausnutzt haben, um sich daran persönlich zu bereichern: mit Geld oder Macht über Menschen wie Dich, die möglichst wenig nachfragen und prüfen, sondern einfach glauben möchten!

P.p.s: Dass nicht nur in den Wissenschaften oder in Anwesenheit von PolitikerInnen oder anderen Berühmtheiten, sondern insgesamt in unseren Medien längst nicht alle Fragen erlaubt sind, zeigt sich gerade deutlich an der „Wie weit würdet Ihr gehen?“, die aktuell noch hier zu finden ist, ansonsten aber leider nur für neu- und wissbegierige Menschen zugänglich, die wissen, wie sie mit Zensur umgehen und selbstständig an anderen Orten oder mit Hilfe von neuen Suchbegriffen recherchieren können.

 

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Dank für das Foto gebührt K. Mitch Hodge (auf Unsplash)!

 

 

 

2 Kommentare
  1. Karl-Heinz Vogel
    Karl-Heinz Vogel sagte:

    Lieber Kerstin,
    als ich studierte, gab es ähnliche Zweifel an der Wissenschaft, als meine Kinder studierten- das ist noch nicht solange her😉, hörte ich Ähnliches. Dr. Merkel musste auch so einige Kröten schlucken- nehme ich mal an, um in dem damaligen politischen System diese Promotion wahrzunehmen (ich hab sich nicht gefragt), der Kapitalismus muss sich erbärmlich auf die Wissenschaftliche Arbeit auswirken, keine Frage und als Ökonom (ich habe nur zwei kleine Veröffentlichungen vorzuweisen) bin ich selbstverständlich schärfstens gegen diese Neoliberalen verirrten Wirtschaftswissenschaftler…
    Aber ich frage, war das nicht schon immer so. Ich meine die Wissenschaft lebt nicht im Elfenbeinturm, es gibt „natürliche“ Konkurrenz, die ähnliche Kontextbedingungen erleben.
    Nichts für Ungut
    Karl-Heinz Vogel
    0034 638284113

    Antworten
    • Kerstin Reuther
      Kerstin Reuther sagte:

      Lieber Karl-Heinz, das größte Problem in den Wissenschaften ist meiner Meinung, dass „der aktuelle Stand der Forschung“ politisch dazu genutzt wird, mehr oder weniger ENDGÜLTIGE oder zumindest angeblich EINDEUTIGE Aussagen zu machen bzw. Entwicklungen damit voranzutreiben, deren Sinn kurz später wieder in Frage gestellt werden könnte. Menschen, die sich selbst nicht immer wieder kritisch hinterfragen lassen, sind in meinen Augen keine WissenschaftlerInnen, sondern LobbyistInnen, die Propaganda für ihre Forschung betreiben (die ihnen Geld und/oder zumindest Erfolg einbringt). Das fängt bei Eltern und LehrerInnen an, die ihren Kindern bzw. SchülerInnen nicht helfen, all ihre Fragen zu beantworten, geht bei ÄrztInnen und anderen DienstleisterInnen oder ProduktverkäuferInnen weiter und endet an den Staatsspitzen. Es ist nicht schön einzusehen, dass man einen Denkfehler begangen oder nicht ausreichend gut beobachtet, zugehört oder recherchiert hat; aber jeder Mensch sollte ihn irgendwann zugeben können – vor allem, wenn er/sie behauptet, an echtem, ehrlichen Wissen interessiert zu sein (leider erschleichen sich wahrscheinlich aber auch viele AkademikerInnen ihre Titel …). Diese Charakterstärke fehlt meiner Meinung nach vielleicht vielen WissenschaftlerInnen – aus berechtigter Angst, ihr Gesicht oder ihre Position zu verlieren.

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