Weder mit Vernunft noch mit kindsköpfigen Ersatzbefriedigungen …
… lassen sich menschliche Gefühle und Grundbedürfnisse aus der Welt schaffen
In unserer Gesellschaft gibt es Menschen, die sich von „guten“ Gefühlen und Bedürfnissen leiten lassen und dann – immer noch, nach meiner Wahrnehmung sogar zunehmend, weil etwas, was unterdrückt wird, mit der Zeit an Stärke gewinnt – die „Kranken“, die ihre animalischen – also des Menschen unwürdigen – „Triebe„, nicht unter Kontrolle haben, also „niederen“ Instinkten statt einer Moral folgen.
Zahlen von Gewalttaten, also von physischen oder psychischen Verletzungen – vor allem von Schwächeren, besonders innerhalb von Familien, die in der Regel früher oder später zu Trennungen, Erkrankungen oder daraus entstehenden Verzweiflungstaten führen – sprechen für mich für sich.
Ich lasse mich nicht so leicht darüber hinwegtäuschen, wie es vielen Menschen, nicht nur erwachsenen, sondern auch einer großen Anzahl, vielleicht sogar der Mehrheit von Kindern, wirklich geht, die gerade behaupten, es würde ihnen gut gehen, sie würden sich in ihrem Leben gut fühlen:
- Menschen, zu deren Leben regelmäßige Arztbesuche oder Gespräche mit psychotherapeutischen BeraterInnen gehören;
- Menschen, die MediatorInnen brauchen, nicht nur, um mit ArbeitskollegInnen kommunizieren, sondern sogar mit den Menschen im selben Haushalt reden können, ohne befürchten zu müssen, dass ihre Diskussion in Gewalt ausartet;
- Menschen mit täglichen Schmerzen, die sie mit Alkohol, Tabletten oder anderen schmerzstillenden Mitteln zu unterdrücken versuchen;
- Menschen mit Zivilisationserkrankungen – Übergewicht, Allergien, Diabetes, Schilddrüsen- und andere Autoimmun- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die sich sogar leicht vermeiden ließen, wenn sie deren Ursachen nicht beseitigen, aber genug Ausgleich für ihre einseitigen Belastungen schaffen könnten.
Ich leide täglich darunter.
Ich leide täglich mit allen, bei denen so offensichtlich ist, dass sie selbst leiden.
Aber: Mein Harmoniebedürfnis ist nicht so groß, dass ich das stillschweigend hinnehmen kann – nur um andere Menschen nicht damit zu konfrontieren, dass so, wie sie leben, andere Menschen, Tiere oder ganze Lebensräume, in der Natur oder in ihrer Gesellschaft, mit oder unter ihnen leiden.
Mein Bedürfnis, ehrlich mit anderen Menschen zu reden, ihnen ehrlich meine Meinung zu sagen, ist schon immer größer, als meine Angst, sie damit zu verletzen – weil ich der Meinung bin, dass jede/r selbst dafür verantwortlich und in der Lage ist, sich gegen Worte zu verteidigen bzw. erklärende Worten für das zu finden, was er oder sie warum oder warum nicht getan hat oder tut.
Aber: Ich weiß heute, dass das bisher nur wenige Menschen gelernt haben; dass nur wenige Menschen sich so gut kennen, um sich selbst erklären zu können; dass viele Menschen Angst vor sich selbst haben, weil ihnen andere einmal eingeredet haben, dass es „böse“ Seiten an ihnen gibt, die sie unterdrücken müssten.
Viele Menschen lernen nicht, dass es normal für Menschen ist, natürliche Bedürfnisse – nach Liebe und Gemeinschaft, aber auch nach individueller, spielerischer, kreativer Freiheit zu haben; nach Sicherheit genauso wie nach Spannung; nach Regeln genauso wie nach dem Übertreten von gesetzten Grenzen u.ä. – zu haben, die innerhalb unserer künstlich, also von Menschen geschaffenen Kulturen keinen oder zumindest viel zu wenig Platz haben oder seit sehr langer Zeit hatten.
Ich habe den Eindruck, Menschen lernen entweder, wie man sich gegenseitig mit Samthandschuhen anpackt – aus Angst, andere mit Worten zu verletzen – oder wie man rechtzeitig den Raum verlässt, wenn andere entweder zu harte Geschosse auffahren oder mit Worthülsen um sich werfen, gegen die man selbst mit Worten nicht mehr ankommt bzw. zu denen einem selbst nichts mehr einfällt, weil man das Gefühl hat, das Gegenüber ist gar nicht in der Lage zu Verständnis.
Mit Vernunft haben die meisten Streitpunkte unter Menschen – Erwachsenen wie Kindern – jedenfalls recht wenig zu tun. Wer also selbst auf Verständnis hofft, muss sich auch auf die Gefühlswelt anderer Menschen einlassen, in sie einfühlen, Empathie für sie entwickeln können. – Aber das schafft nur, wer sich selbst auf die eigene Gefühlswelt einlassen kann … Dass schaffen nur Menschen, die keine Angst vor sich selbst haben und sich auch mit sich alleine, in einem Raum ohne Beschäftigungsmöglichkeiten und ohne Ablenkungsmanöver, als menschliche Wesen wohlfühlen, also nicht dafür verurteilen, schämen oder sogar verabscheuen, auch wenn sie selbst wissen oder unverhofft – weil sie überraschend damit konfrontiert werden – feststellen, dass sie sich selbst oft nicht unter der Kontrolle haben, die sie sich selbst wünschen würden (weil sie sie an anderen bewundern, weil sie sie gut finden, weil sie sie für sinnvoll halten etc.).
Ich halte es für sinnvoll, dass Menschen möglichst frühzeitig lernen, ihre natürlichen Bedürfnisse nicht nur äußern zu dürfen, sondern auch, dass es Menschen gibt, die ihnen dabei helfen sie zu befriedigen, wenn sie es alleine nicht können.
Ich bewundere Menschen, die Strategien für sich entwickelt haben, mit Enttäuschungen, Wut und Verzweiflung umzugehen, ohne sie in sich hineinfressen zu müssen.
Ich finde jede friedliche Konfliktlösung besser als einen unsinnigen Streit.
Aber nur Streitgespräche – Diskussionen – können uns dahin führen, Konflikte mit anderen zu lösen, die wir alleine gar nicht haben bzw. hätten, weil wir Menschen einfach mit unterschiedlichen Ersatzbefriedigungen gegen unsere natürlichen Bedürfnisse – wie dem nach Nahrung, körperlicher Bewegung oder Nähe, Schlaf und Erholung, geistigen bzw. künstlerischen Aktivitäten usw. – vorgehen bzw. (nicht) gelernt haben, ihnen möglichst sofort nachzugeben oder sie möglichst lange und anderen zuliebe zurückzustellen, ihnen also unnatürliche Grenzen zu setzen.
Wenn ich mir unsere Menschheitsgeschichte betrachte, ist leicht erkennbar, dass es immer wieder Zeiten gab, in denen Menschen aus ihren gesellschaftlichen Zwängen ausgebrochen sind – allein in den letzten Hundert Jahren spricht man je nach Region von den „verrückten“ 20er-, 50er- 60er-, 70-er oder 80-er Jahre, die meiner Meinung nach als gesellschaftlicher Ausgleich für die Unterdrückung natürlicher, menschlicher Bedürfnisse zu Kriegszeiten gedient haben.
Seitdem werden bzw. wurden uns im Prinzip keine Grenzen mehr gesetzt, das zu tun und zu lassen, was wir wollen – wenn wir unser natürliches Bedürfnis nach gemeinsamen menschlichen Werten und Moralvorstellungen ignorieren.
Ich denke, dass wir genau deshalb – wieder mal – nicht nur politische FührerInnen haben, die dazu aufrufen, gemeinsame Zielen zu verfolgen wie
- Heimatliebe und Umweltschutz
- Gesundheit zund Körperhygienemaßnahmen
- Solidarität und Gemeinschaft.
Wie vor etwa 100 Jahren.
Mit ähnlich paradoxen Parolen.
Mit der Spaltung unserer Gesellschaft in die Menschen, die einfach mitmachen wollen statt sich vorher zu überlegen, was sie da tun, statt ihrer Vereinigung.
Damit, dass mit den Gefühlen der Menschen – vor allem Angst um sich selbst und ihre Liebsten, davor, das bisherige Leben oder die eigenen Freiheiten zu verlieren – so gespielt wird , dass sie sich leicht in die Enge treiben lassen.
Mir würden spaßigere, weniger manipulative Spiele einfallen…
Aber ich bin vermutlich einfach ein Kindskopf, der bzw. die
- sich mit abenteuerlichen Hobbies wie Fahrradfahren, durch die Natur Laufen und Rennen oder sogar Gartenarbeit vergnügt,
- verrückte Kunst wie die von guten FreundInnen liebt,
- sich eine heiße Affaire nur mit dem Mann, mit dem sie ohnehin immer das Bett teilen will, vorstellen kann und
- denkt, sie könnte damit, dass sie alleine vor einem Bildschirm sitzt und schreibt, andere Menschen zu sich einlädt oder sich mit einem bzw. einer einzelnen zum Reden verabredet, etwas dazu beitragen, dass sich die Welt zum „Besseren“ verändert.
Allerdings glaube ich tatsächlich nicht, dass Menschen die Welt besser machen können, als sie schon vorher war; aber wir könn(t)en aufhören, sie jeden Tag schlechter damit zu machen, dass wir sowohl unsere natürlichen Bedürfnisse und Gefühle als auch die anderer Lebewesen auf dieser Welt ignorieren oder einige davon sogar ganz abschaffen, also aus der Welt schaffen wollen.
Ich denke nicht, dass wir das können. Aber vielleicht überzeugt mich irgendjemand irgendjemand ja doch noch vom Gegenteil?
Als Lebenswissenschaftlerin wäre es nicht das erste Mal, dass mich verwundert, zu was Menschen fähig sind, im guten wie im schlechten Sinne – je nachdem, wie viel Mitgefühl sie besitzen bzw. gelernt haben.
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Dank für das Foto gebührt Daniel Cheung (auf Unsplash)!
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