Menschliche Abgründe …

… sind selten so tief, wie sie sie sich gegenseitig unterstellen – häufig vielleicht tiefer

Ich war lange Zeit meines Lebens ein sogenannter gutgläubiger Mensch – obwohl ich wusste, dass jeden Tag menschliche Grausamkeiten geschehen, irgendwo anders, wo andere Menschen leben, an denen ich nichts ändern kann. Ich weiß schon seit langer Zeit, dass ich selbst ein Teil dieser komplexen (Menschen-)Welt bin, nie sicher wissen kann, was dafür passiert, dass ich hier leben kann, und dass ich vielen der AuftraggeberInnen, in deren Namen besonders viele Verbrechen an anderen Menschen, an Tieren und der Natur begangen werden, täglich begegne, ohne dass sie wissen, dass das geschieht – weil sie mit ihrem Geld dafür bezahlen oder für ArbeitgeberInnen arbeiten, die daraus Profit schlagen. Ich bin sicher, dass alle die, die davon wissen, ein schlechtes Gewissen haben – so wie es meiner Meinung nach jeder Mensch haben würde.

Nur die Strategien gegen das schlechte Gewissen unterscheiden sich:

  • Verdrängung
  • Wiedergutmachung bzw. Vergeltung
  • Hinnahme

Menschen, die das eigenen schlechte Gewissen verdrängen, weil sie nicht wissen, wie sie es wiedergutmachen könnten, wozu sie beitragen, leiden meistens irgendwann unter den verschiedensten Krankheiten, die ihnen die Luft nehmen, das Blut in den Adern stocken lassen oder die ihr Immunsystem so schwächen, dass sich Krebs oder andere (Auto-)Immunerkrankungen entwickeln können.

Andere, die das Gefühl haben, sie würden all ihre schlechten Taten mit guten ausgleichen können bzw. hätten es verdient, sich auch Dinge zu leisten, die Leid für andere bedeuten, leben weitaus glücklich – bis sie vielleicht erkennen, dass sie mehr verdrängen müssen als sie wiedergutmachen können.

Und die letzte Gruppe, oft spirituell veranlagte Menschen, die denken, sie alleine könnten nichts ändern am Übel in der Welt, neigen dazu, es hinnehmen zu wollen – bis sie feststellen, dass es sie krankmachen würde, wenn sie das lange versuchen.

Es gibt Menschen, die finden ihr Heil oder die Heilung von ihren Krankheiten in spirituellen FührerInnen, die ihnen vermutlich versprechen, das sie selbst kein schlechtes Gewissen mehr haben müssen, wenn sie nur genug an das Gute und Schöne glauben, und dass sie, wenn unsere bisherige, schlechte Welt am Ende untergeht, gerettet werden, weil sie genug Gutes und Schönes dafür getan haben.

Es gibt andere, die suchen Rettung „auf der anderen Seite“, glauben also, dass das Böse immer siegen wird und verbünden sich lieber rechtzeitig mit ihm, nehmen es also als unvermeidbar an und praktizieren es vorsorglich, um im schlimmsten Fall genug abgehärtet zu sein.

Und dann gibt es Menschen wie mich, die versuchen, die Welt und die Menschen realistisch zu sehen, zu sehen, wie sehr Menschen darunter leiden, dass ihnen oft nichts Besseres einfällt, als anderen mit dem, was sie selbst tun, zu schaden; dass sie rücksichtslos oder zu unvorsichtig, also nicht achtsam genug waren oder dass sie selbst – verschuldet oder unverschuldet – in einer Notsituation feststecken, aus der sie allein nicht mehr herauskommen, ohne rücksichtslos gegenüber anderen zu sein.

Ich weiß nicht, ob ich mich damit täusche und ob es tatsächlich Menschen gibt, die gerne leiden, auch wenn ihnen jemand eine leidfreie Alternative dazu bieten könnte, und die auch nicht Besserung geloben und versprechen würden, das – wenn sie Alternativen kennen würden – nicht wieder zu tun, wenn sie feststellen, dass sie anderen Leid zugefügt haben.
Schwören würde ich also nicht darauf, solange ich nicht jede/n einzelnen fragen konnte.
Und schwören würde ich auch nicht darauf, dass es allen Menschen sofort gelingt, möglichst alles zu vermeiden, was anderen schadet.
Aber das kann auch niemand, der die Menschen kennt oder sogar studiert hat, erwarten.
Wenn wir also wirklich etwas gegen unsere menschlichen Abgründe tun wollten statt sie täglich tiefer zu graben – müssten wir sofort damit aufhören, sie an einigen Stellen zuschütten zu wollen, während an anderen umso tiefer gegraben wird; offenlegen, wie tief sie wirklich sind und dann alle gemeinsam darauf achtgeben, dass niemand mehr heimlich und ohne das Wissen anderer irgendwo Erde umschichtet.

Menschliche Abgründe werden menschliche Abgründe bleiben, auch in einem Paradies, in dem wir leben könnten.
Solange wir dafür sorgen, dass Menschen nicht in Not geraten und gleichzeitig lernen, achtsam mit ihnen umgehen, also nicht gleich hineinstürzen, wenn sie sich ihnen nähern, – z.B. aus einer Ohrfeige, mit der manche Menschen erst verstehen, dass auch Worte weh tun können, ein körperliches Gewaltdelikt machen – bräuchten wir uns meiner Meinung nach aber keine großen Gedanken um sie machen.
Ich glaube nicht, dass es Menschen auf dieser Welt gibt, die sich nicht bewusst wären, dass auch in ihnen Abgründe lauern. Aber so lange nicht alle Menschen offen und ohne schlechtes Gewissen, ohne Scham, darüber reden können, werden wir wohl in einer Dauerschleife aus Überfluss und Not, Krieg und Friedenszeiten hängenbleiben…
Ich kann damit leben, auch wenn ich definitiv nicht damit leben will; deshalb schreibe und rede ich darüber, solange bis ich vielleicht auch mal als Kriegsopfer enden werde, in einer Welt, die meiner Meinung nach friedlich war, bis die Menschen begannen, ihre Abgründe zu erkennen, und sie einfach wieder zuschütten wollten.

 

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Dank für das Foto gebührt Mathias Csader (auf natur-highlights.de)!

 

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