Unser verzerrtes, verzogenes, anerzogenes Bild der Welt

Wenn wir Menschen, Tiere, Pflanzen und den Rest der Natur nicht so sehen können, wie sie wirklich sind

Schönheit liegt genauso im Auge von BetrachterInnen wie ein ungesundes oder unglückliches Aussehen.
Wir alle sehen die Welt, uns und die Menschen um uns herum nicht genau so wie andere sich selbst, uns und andere Menschen sehen.
Wir sehen sie so, wie sie für uns – nicht für andere – am besten, sinnvoll, lebenswert erscheint bzw. wie wir uns Menschen oder andere Lebewesen freundlich oder harmlos bzw. ungefährlich für uns und unser Überleben vorstellen können (bzw. schützen uns bestmöglich auf unsere Weise vor den aus unserem Weltbild entstehenden Gefahrenquellen), weil wir sonst wenig Anlass hätten, unser Leben weiter in einer Welt zu leben, in der wir täglich bedroht werden und unser Leben verlieren könnten (auch wenn das natürlich so und im Grunde auch jedem Menschen bewusst ist, der den Tod eines anderen miterlebt hat).

Wenn wir nicht in unterschiedlichen Welten nebeneinander leben oder unsere unterschiedlichen Weltbilder in Konkurrenzkämpfe schicken, sondern miteinander leben wollen, müssen wir uns gegenseitig erklären (können), was wir sehen, und am besten auch noch erklären können, warum wir es so sehen. Nichts ist einfach so wie es ist, das war es nie; das sagen nur Menschen, die es nicht besser wissen und es sich einfach machen, nichts weiter dazu sagen können oder erklären wollen.

Ich weiß, dass ich oft aus dem Haus gehe, wie andere Menschen das Haus vielleicht nicht verlassen würden – aber ich weiß meistens ziemlich genau, wie ich aussehe oder auf andere Menschen wirken kann.
Ich weiß, dass es Menschen gibt, die mich zu dünn finden – aber ich fühle mich in meiner Haut jeden Tag gut und sorge dafür, dass es auch so bleibt, denke oder rede mir also keine (Krankheits- oder Alterungs-)Zeichen schön oder weg, mit denen ich gar nicht leben will, sondern tue schnellstmöglich etwas gegen sie oder lerne sie zu lieben, nicht zu tolerieren, also unter Schmerzen zu ertragen und dabei darunter zu leiden.
Ich freue mich, wenn mir auffällt, dass mich andere Menschen mit einem Lächeln im Gesicht beobachten oder mir sagen, dass meine Augen leuchten – damit kann ich mehr anfangen als mit Komplimenten über mein Outfit oder eine Haarfarbe, die ich ja deshalb ausgewählt habe, weil sie mir gefallen und nicht, weil ich dafür erst noch Bestätigung bräuchte.

Ich weiß, dass ich manchmal mehr Ordnung und Schönheit im Chaos erkennen kann als andere Menschen, manchmal weniger – aber ich weiß auch, dass es sehr unterschiedliche Ordnungskriterien und definierte Passgenauigkeiten gibt. Ich weiß, dass jede Ordnung im Chaos enden kann, wenn es zu viele Dinge mit den unterschiedlichsten Merkmalen zu ordnen gibt und wir Menschen uns nicht entscheiden können, nach welchen wir sie ordnen wollen. Ich bin froh, dass ich eine Lebenswissenschaft studiert habe, die mir die Sicherheit gibt, dass die Natur alles irgendwann wieder so ordnen wird, dass ich glücklich damit bin oder sein werde.

Ich weiß, dass ich viele Dinge übersehe, die andere sehen – aber ich weiß auch , dass ich viel mehr sehe und be(ob)achte als viele andere denken.
Es macht mich glücklich, mich von „Dingen“ – etwas oder jemandem – zu lassen, die mir wichtig sind; und es macht mich noch glücklicher, wenn ich Menschen in meiner Nähe habe, die mir – weil sie mich kennen und wissen, dass ich mich ihnen auch wieder zuwende, sobald ich weiß, dass ihnen das wichtig ist – deswegen nicht gleich böse sind statt zu erwarten, dass sie das Wichtigste für mich sind, „nur“ weil wir uns vielleicht länger nicht sehen „konnten„.

Ich weiß, dass viele Menschen mich zwar gerne sehen mögen, aber gar nicht hören wollen, was ich aktuell alles zu sagen habe.
Wer ein stummes Zerrbild von mir vorzieht, sollte sich nur Fotos von mir aufstellen, oder wer einmal etwas mochte, was ich gesagt habe, sollte sich mit seinen Erinnerungen daran begnügen; denn mir fällt ständig etwas Neues ein, worüber ich gerne reden würde, und ich ertrage es schlecht, auch nicht aus Solidarität, nicht über alles, was ich sehen, fühlen, hören, … kann, selbst reden zu dürfen.
Ich will definitiv nicht aus Solidarität irgendwann genauso krank oder unglücklich aussehen wie viele der Menschen, die mir täglich begegnen und die nicht offen über das reden (können oder wollen), was sie krank und unglücklich macht bzw. gemacht hat: denen ihr natürliches Glück, ihre angeborene Lebensfreude, und die Gesundheit und Selbstheilungskräfte, die sie – falls sie nicht schon künstlich gezeugt oder zu einem von anderen festgelegten Wunschtermin auf die Welt geholt wurden – von der Natur mit auf ihren Lebensweg bekommen haben, gesellschaftlich, kulturell, aberzogen wurde.

Ich bin dankbar, dass ich offensichtlich nicht zu sehr verzogen wurde und sich mein biologisches, ökologisches Welt- und Menschenbild täglich zu erweitern statt zu verzerren scheint – auch wenn ich lange noch nicht alles verstehe, was vor sich geht; aber ich denke, mir bleibt noch ein bisschen Zeit, das weiter zu beobachten, Wiederholungsmuster und Zusammenhänge zu erkennen sowie neue (Kurz-)Schlüsse daraus zu ziehen.

P.s.: Ein Großteil der Menschen hört sich nur an, was ein paar wenige sagen, wiederholt es stumpfsinnig oder schaut stumm dabei zu, sagt also nichts zu den Bildern, die ihnen sinnbildlich oder mit bildgebenden Verfahren tagtäglich vor Augen geführt werden.
Aber wenn die Natur nicht uns allen die Möglichkeit hätte geben wollen, wenn es im Laufe der Evolution für uns Menschen keine Vorteile gebracht hätte, dass wir alle miteinander reden und nicht nur vielsagende Bilder erschaffen, sondern auch ihre Laute bzw. Worte mit Inhalten füllen können, hätte sie nur ein paar von uns ein komplexes, menschliches, entwicklungsfähiges Gehirn, Zungen und Stimmbänder geschenkt – denn in der Natur gibt es keine Verschwendung.
In der Natur wird – im Gegensatz zu menschlichen Kulturen – nie in etwas investiert, was nicht für das Überleben einer zukunftsfähigen Art gut ist, was also nicht nur einen Gewinn verspricht, sondern ihr auch tatsächlich lebenswichtige Erkenntnisse einbringt (auch wenn das für Menschen, die natürliche Zerrbilder nicht erkennen können, natürlich schlecht zu sehen, also einzusehen, ist).

 

 

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Dank für das Foto gebührt Mark Timberlake (auf Unsplash)!

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