Von natürlicher Schwarmintelligenz und menschlicher Schwarmdummheit …
… und was unter anderem Angst vor Mittelmäßigkeit, der Glaube an sichere Positionen oder Besitz- und (Spitzen-)Klassendenken damit zu tun hat
Vor allem moderne, gut (aus)gebildete Menschen sind heutzutage in der Natur allein, als Paar zu zweit oder auch mit ihrer Familie oder in kleinen Gruppen kaum mehr überlebensfähig, weil sie ohne ihre Lebensmittelversorgung gar nicht wüssten, wo sie Nahrungsmittel finden sollen, die sie auch alle mögen oder vertragen; weil sie ohne Arzt- oder Heilpraxen und Kliniken nicht mehr wüssten, was sie tun sollen, um sich gegenseitig zu helfen, wenn es ihnen körperlich schlecht geht; weil sie nicht wissen, dass man auch in der Kälte leben kann, wenn man sich ausreichend bewegt oder zusammenrückt und den eigenen Körper gut gegen Wärmeverluste isoliert; weil sie nicht wagen würden bzw. aufgrund von (Auto-)Immunschwächen oder -überreaktionen – also Stresserkrankungen, die sie sich für ihren modernen, bequemen Lebensstil eingehandelt haben – auch nicht sollten, Bach- oder Flusswasser zu trinken, wenn sie sonst kein fließendes Wasser zur Verfügung haben; weil sie ohne Werkzeug keine Idee hätten, wo sich einen kälte- oder regensicheren Unterschlupf finden oder bauen könnten, bzw. wahrscheinlich irgendeine/r auch in einer kleinen Gruppe lieber den Kältetod sterben würde statt Ängste oder Ekel zu überwinden und mit diversen Tieren zusammen in einer Höhle zu übernachten.
Wo ein Großteil von Menschen davon schwärmt, unabhängig und frei zu sein bzw. sein zu wollen, haben sie sich allerdings – schwarmdumm, denn in Schwärmen gibt es keine Zwänge und festen Vorgaben, an die sich alle TeilnehmerInnen halten müssen – in Abhängigkeiten begeben, die ihnen entweder gar nicht bewusst sind, weil sie dort in kleinen, freiwilligen Schritten, die ihnen andere Menschen „ermöglicht“ haben, gelandet sind; die sie ignorieren, weil sie ihnen nicht gefallen oder die sie leugnen, wenn sie jemand darauf aufmerksam macht – weil sie ihren Glauben an Freiheit und Unabhängigkeit be- und ihr eigenes Weltbild damit aufrechterhalten wollen.
Dass immer wieder auch Diktaturen in vieler Hinsicht als Vorbild betrachtet werden, weil dort alles so gut geregelt, sicher und kontrolliert ist. zeigt deutlich, wie wenig Menschen noch davon ahnen, dass dazu von Natur aus keine DiktatorInnen oder Zentralen notwendig sind, die keinerlei Abweichungen von Normen und Regeln zulassen dürfen.
In der Natur wird innerhalb einer Art niemand gezwungen, seine Individualität aufzugeben, wenn er oder sie Teil eines Schwarms sein will – jede/r ist willkommen, wird also nicht verstoßen; jede/r darf sich auch an die Spitze begeben oder ganz hinten einreihen, muss also keine auf längere Zeit festgelegte Position besetzen, und jede/r kann auch jederzeit den Schwarm wieder verlassen, wenn die eigenen Ziele nicht mehr mit denen des Schwarms übereinstimmen, wenn er oder sie also vorher am eigenen angekommen ist.
Schwarmintelligenz beruht auf
- Intuition, mit der man als Neuankömmling die eigene Position wählt, an der man mit möglichst wenigen anderen zusammenstößt;
- Vertrauen und Vertrauensvorschüsse in die, deren Nähe man (neu) gewählt hat, weil man sich in erster Linie an ihnen orientieren muss;
- Selbstvertrauen, um die eigene Position auch zu verlassen, wenn man spürt, dass man sich dort nicht wohl fühlt;
- Neugier und Mut zu vielfältigen Erfahrungen, um – wie bei Attacken oder der selbstständigen Prüfung der Richtung und Umgebung notwendig – wiederholt die Stellung zu wechseln, die eigenen Fähigkeiten zu trainieren und (Er-)Kenntnisse zu sammeln, sowohl als unverhoffte/r oder -beabsichtigte/r neue/r AnführerIn oder auch mal ganz hinten, wenn die eigenen Kräfte schwinden oder neue geschöpft werden müssen;
- Aufmerksamkeit – denn ohne freien Blick nach vorne können eigene Ziele schnell aus dem Auge verloren werden und anderen Folge geleistet werden, die ganz andere, eigene haben, und auch im Zentrum eines Schwarms ist niemand vor Gefahren sicher, wenn AngreiferInnen zustoßen und die äußere „Schutzhülle“ von einer Sekunde zur anderen zerbrechen kann;
- Durchhaltevermögen oder Glauben daran, dass der eigene Weg der richtige ist, auch wenn es andere auf dem Weg „erwischt“, wenn bekannte oder sogar befreundete oder geliebte BegleiterInnen sich entfernen oder sterben und dafür Fremde an deren Stelle treten.
Schwärme bieten, genauso wenig wie alle anderen Sozialsysteme, keine absoluten Sicherheiten für alle, die Teil von ihnen sind; dafür bieten sie Raum für Individualität und Kreativität. also Freiheiten, die ein festes Rudel oder eine Herde selten duldet.
Schwarmdummheit entsteht da, wo – aus Angst vor dem Verlust gewohnter Strukturen oder Umgebungen, Faulheit bzw. fehlender Energie oder fehlendem Vertrauen in die Fähigkeiten oder Harmlosigkeit Fremder – feste Positionen oder Reviere eingenommen oder Klassen gebildet werden (müssen); dadurch fehlt die Kontrolle derer, die Richtung und Ziele vorgeben (wollen) und die Flexibilität, die ein Schwarm braucht, um in der Natur auf sich ändernde Umweltbedingungen reagieren zu können.
Schwarmdumm, eine (Lebens-)Zeit- und Energieverschwendung, ist es, innerhalb des eigenen Schwarms um Positionen oder Reviere zu kämpfen oder feste Klassen zu bilden, wenn man weiß, dass man jederzeit die eigene verlassen und sich eine andere, passendere wählen kann, in der man sich wohler fühlt.
Schwarmdumm ist es zu denken, das Wichtigste für das eigene Überleben wäre es, als SpitzenreiterIn (oder -schwimmerIn) alle anderen hinter sich zu wissen, möglichst viele als „Gefahrenpuffer“ um sich herum zu haben oder sich den Fluchtweg nach hinten offen zu halten, also möglichst immer das Schlusslicht des Schwarms zu bilden.
Schwarmdumm ist es, sich kräftezehrend gegeneinander auszuspielen statt (Lebens-)Zeit und Energie gemeinsam sinnvoller einzusetzen, oder Teil eines Schwarms zu bleiben, der gar nicht in der Richtung unterwegs ist, in die man selbst möchte.
Schwarmdumm ist es, zu viel über andere nachzudenken, denen nachzutrauern oder die wieder zu suchen, die man aus dem Blick verloren hat, die sich selbst aus der Nähe entfernt haben oder die man verlassen hat, weil man sich in ihrer Nähe unwohl gefühlt hat – die Chance besteht immer, sie an anderer Stelle wieder zu treffen.
Schwarmdumm ist es, alle anderen oder die Umgebungsbedingungen so verändern, kontrollieren und absichern zu wollen, um sich die eigene Flexibilität und all die anderen Fähigkeiten ersparen, wegrationalisieren, zu können, die in einem und für den Schwarm (lebens-)wichtig sind.
Schwärme, die ihre natürliche Schwarmintelligenz verlieren, bedeuten früher oder später den Tod für alle, die sich nicht einem anderen anschließen.
Wir Menschen sind viele und es gibt nur wenige, die eigenbrötlerisch ganz alleine oder nur innerhalb einer feststrukturierten Familie oder Gemeinschaft leben.
Du wirst also schnell Anschluss finden, wenn Du feststellst, dass Dein eigener, dem Du lange Zeit gefolgt bist oder in dem Du Dich sicher gefühlt hast, keine Zukunft mehr hat, dekadent geworden, also dabei ist, auseinander zu fallen, also eine Gefahr für alle darstellt, die ihm weiter folgen.
Den Entschluss dazu fassen kannst Du als schwarmintelligentes Individuum nur alleine.
Aber wenn Du wirklich sicher bist, dass Du den bestmöglichen anderen gefunden hast, werden Dir alle anderen, für die er es auch ist, irgendwann folgen, oder Du wirst so positiv von denen überrascht sein, die Du dort triffst, dass Du nicht lange über die trauern wirst, die Du hinter Dir gelassen hast.
P.s.: Ich bin froh, dass es sich mittlweile bis zu Menschen herumgesprochen hat, die Politik machen wollen, dass persönliche Eigeninteressen von Regierenden und immer dieselben Zielvorgaben einiger weniger nicht nur die Demokratie in einzelnen Ländern, sondern in der ganzen Welt zerstören können, und hoffe, dass es – für mich als Säulenbeauftragte für Achtsamkeit (und vertretungsweise Schwarmintelligenz) im Rheingau-Taunus-Kreisverband von dieBasis – nicht zu spät ist, Menschen jetzt noch nicht nur für die Natur und natürliche Schwarmintelligenz, sondern auch für Politik und basisdemokratische Mitbestimmungsrechte begeistern zu wollen. Immerhin bin ich sicher, dass immer die zusammen überleben werden, die gemeinsam – als schwarmintelligente Wertegemeinschaft – nicht einsam oder mit Hilfe von intelligenten Ideen weniger, während sich alle anderen – in solidarischen Wohlstandsgesellschaften – dumm stellen, die beste Überlebensstrategie für sich finden.
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Dank für das Foto gebührt Aaron Burden (auf Unsplash)!
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