Von (Über-)LebenskünstlerInnen

Echte LebenskünstlerInnen sind für mich Menschen, die es schaffen, mit ihrem Leben und gleichzeitig mit dem, was sie dabei erschaffen, zum Ausdruck zu bringen, wer sie sind und was sie in ihrem Inneren fühlen: mit ihrer Kunst sich selbst kreieren oder darstellen, also keine Rolle spielen müssen.
Der Kampf um die eigene Existenz, ums eigene Dasein, dagegen ist selten eine ehrliche Kunst, die anderen Menschen dienen, ihnen etwas sagen, vor Augen halten oder hinter die Ohren schreiben soll, sondern eher eine Überlebensstrategie, in Anpassung an den (Selektions-)Druck von Außen – den Markt, die Nachfrage – also eine Selbstdarstellung von Menschen, die Kunst, den Kunstbegriff, nutzen wollen, um bei anderen Menschen Eindruck zu schinden oder möglichst erfolgreich damit zu sein und davon leben zu können.

Kunst hört im Grunde da auf, wo Profit von KünstlerInnen auf Kosten von Menschen beginnt, die mit deren Kunst überhaupt nichts anfangen können; wo KünstlerInnen zu Profis werden und sich von anderen managen lassen, um ihr Einkommen zu kontrollieren und den Geldfluss auf lange Zeit zu sichern; wo eine Berufung zum „Job“ wird, ein inneres, unvorhersehbares, spontanes und wenig planbares Bedürfnis zum regelmäßigen, von Außen gesteuerten, termingerechten Muss.
Kunst hört für mich auch da auf, wo sie den Schönheitsidealen einiger weniger Menschen unterworfen wird; wo sie in ein Korsett gezwungen wird, das gar nicht alle Menschen schön finden.
Kunst muss nicht allen Menschen verständlich und leicht zugänglich oder schön sein – sie darf provozieren, und über sie muss diskutiert werden dürfen; aber sie sollte meiner Meinung nach da aufhören, wo Menschen beleidigt, diffamiert werden, die sich nicht dagegen wehren dürfen, also da, wo Menschen zu Schaden kommen.
Auf völlige Kunstfreiheit bestehen nur Menschen, die noch nicht erkannt haben, wie mit ihr auch Propaganda betrieben, getäuscht und betrogen oder gezielt Rache, also Gewalt ausgeübt wird.

Echte Profis wissen, wie sie mit ihrer „Kunst“ das Publikum erreichen, das sie erreichen wollen:

  • Menschen, die Einfachheit lieben, oder
  • andere, denen nichts verschnörkelt, pathetisch oder komplex genug sein kann;
  • verletzte Menschen, die es lieben, sich in ihrem Herzschmerz zu suhlen, oder
  • andere, die dazu neigen, provokant zurückschlagen;
  • Harmonie- und Ruhebedürftige oder
  • wütende Streitsüchtige, die eher auf Dissonanzen und Lärm ansprechen;
  • QualitätsverfechterInnen, die auch mit kurzen Darstellungen, wenigen Bildern, Farben oder Tönen zufrieden sind, oder
  • Menschen, die für ihr Geld auch möglichst viele unterschiedliche und lange Kunsterfahrungen machen möchten.

In Krisenzeiten zeigt sich wahrscheinlich immer besonders, wer wirklich ein/e (Lebens-)KünstlerIn ist.
Mir zeigen sie allerdings auch, welche KünstlerInnen bereits vorher immer welche waren, wer weiterhin authentisch bleibt und wer auf einmal ein ganz neues, unerwartetes und – positiv oder negativ – überraschendes, künstlerisches Gesicht oder eine seltsame Fratze zeigt.

Aber – da bin ich mir als Biologin sicher – das ist das Schöne an Kunst: Es wird immer wieder neue geben, weil immer wieder Menschen heranwachsen, die aus dem, was vorher schon da war, etwas Neues machen, ihre eigene, ganz persönliche Kunst, kreieren werden. Es mag zwar sich wiederholende Modeerscheinungen geben, aber Menschen sehen sich irgendwann an allen Kunstwerken satt und langweilen sich, wenn sie nicht hin und wieder kleine Änderungen vornehmen.
Wir unterliegen alle den Zwängen der natürlichen Evolution und des Alterns, so dass es eine menschliche Utopie ist, zeitlose, unvergängliche Kunst(werke) zu erschaffen – auch wenn Ideolog- oder IdealistInnen und FantastInnen versuchen, Schönheit zu konservieren statt Kunst bewusst die Freiheit zu lassen, sich immer weiter zu entwickeln!
Es ist für mich als Naturfreak gerade – zu einer Zeit, in der Kunst- (und Kultur-)Schaffende um ihr Überleben kämpfen – eine sehr bereichernde Erfahrung, ein neues Verständnis für Kunst (und Kultur) zu entwickeln, während ich mich über die vielen neuen KünstlerInnen freue, die für mich gerade wie eine neue Art von Menschen entstehen und mich damit begeistern, dass sie mir zeigen, wie eng ihre Kunst mit ihrer persönlichen (Bewusstseins-)Entwicklung zusammenhängt.
Ich denke, daran werde ich noch sehr lange Freude haben.
Und wenn nicht, weiß ich ja, wo ich die (Über-)LebenskünstlerInnen finde, die mich seit meiner Kindheit damit begeistert haben, dass sie es schaffen, in unserer Welt auch unter widrigsten Bedingungen nicht nur zu überleben, sondern sich – mit offensichtlicher Lebensfreude – voll zu entfalten statt für ein besonders sicheres oder bequemes Plätzchen ihre Freiheit aufzugeben und unter Umständen abhängig von „BrötchengeberInnen“ zu machen.

 

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Dank für das Foto gebührt Imre Tömösvári (auf Unsplash)!

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