Von der Sinnhaftigkeit menschlicher Pläne und Routinen

Nur weil Menschen sich routiniert verhalten, muss das noch lange nicht gesund sein

Routine hat weniger mit festen Regeln, also regelmäßigen Wiederholungen zu tun, als vermutlich viele Menschen denken. Routine bedeutet Wegerfahrung.

Wegerfahrung kann entweder, wenn es sich immer nur um denselben Weg handelt, vor allem jemand haben, der oder die ihn schon öfters gegangen ist, oder, wenn es darum geht, auch immer wieder neue Hindernisse und notwendige Umwege erfolgreich bestreiten zu können, der oder die gelernt hat, unveränderliche, von einem bestimmten Weg unabhängige, immer wiederkehrende Wegzeichen zu lesen.
Vom Prinzip her immer gleich sind in erster Linie die Zeichen, die den Naturgesetzen unterworfen sind, also ihren Regeln folgen. Alles, was Menschen in ihrem Leben schaffen, bisher erschaffen haben oder noch schaffen werden, sieht vielleicht oft gleich aus, war, ist oder wird vergänglich sein – auch wenn sich das einige IdealistInnen oder IdeologInnen, die sich über die Natur erhaben fühlen, oft nicht eingestehen wollen.

Ich halte mich da eher klein und ehrfürchtig gegenüber den Mächten der Natur und ihrer natürlichen Kreisläufe, denen ich mich lieber unterwerfe als menschengemachten Regeln, Routinen, Normen und ähnlichen, wenn die von mir Regeln, Routinen, normative Verhaltensweisen oder ähnliches verlangen, die gegen meine Biorhythmen und natürlichen Bedürfnisse verstoßen und mir dadurch unsinnig erscheinen.
Ich sehe den Sinn von Routinen, wenn man unter denselben Bedingungen schnell vorwärts kommen möchte; da für mich aber kein Tag wie der andere, jeder Mensch und auch jedes andere Lebewesen einerseits einzigartig, andererseits täglichen Veränderungen unterworfen ist und ich und mein Verhalten und Gefühlsleben davon beeinflusst wird, tue ich mir schwer damit, Routinen, die auf ständiger, gleichförmiger Wiederholung beruhen, zu entwickeln. Mir machen solche Routinen keinen Spaß, sie nehmen mir die Möglichkeit, spontan auf Veränderungen reagieren zu können.
Für eine Biologin wie mich ist Leben ständige Veränderung und ich weiß, wie wichtig es ist, sich an Veränderungen der Umwelt anzupassen, wenn man als Lebewesen überleben will. Ich glaube nicht an Sicherheitsversprechungen, die Sicherheiten in der Zukunft gewähren sollen. Ich gehe lieber mit möglichst offenen Augen und Ohren und möglichst wenig Angst, aber achtsam, durch die Welt, um die Zeichen der Zeit rechtzeitig lesen zu können.
Das ist anstrengend, hält mich aber flexibel.
An mir wird auch schwerlich jemand ein Verbrechen zu einem bestimmten Zeitpunkt planen können.
Ich schaffe es weder, jeden Tag zur selben Zeit aufzustehen, noch frühstücke ich oder mache ich als erstes einen Kaffee.
Feste, streng geregelte Essenszeiten gibt es bei mir nicht. Verabredungen treffe ich am liebsten spontan und schlafen gehe ich, wenn ich müde bin bzw. stehe auch nachts wieder auf und beschäftige mich, wenn ich nicht schlafen kann.
Ich nutze gerne Möglichkeiten oder die Gunst der Stunde, nicht die Vorgaben durch andere oder in meinem Kopf, die mich trotzdem noch oft genug zwingen wollen, etwas so zu tun, wie nur ich es für richtig halte. Das sind aber selten Routinen im positiven Sinne, sondern eher angewöhnte, sogenannte Zwangsstörungen.

Ich weiß nicht, ob ich davon im Verhältnis zu anderen Menschen viele oder wenige habe; jedenfalls mache ich selten etwas so, wie viele andere Menschen es tun würden. Mir ist bewusst, das mich viele deshalb für unkonventionell, schlecht erzogen oder eine Spinnerin halten – das hält mich aber nicht davon ab, weiterhin darauf zu vertrauen, dass es gut so ist, wie ich bin; weil es mich immer dorthin gebracht hat, wo ich sein wollte: unter Menschen oder Tieren oder in der freien Natur, fernab von unnatürlichen und daher in meinen Augen auch ungesunden, gesellschaftlichen Normen und Regeln.
Mit mir zusammen zu leben ist nicht leicht für Menschen, die selbst feste, sich regelmäßig wiederholende Strukturen brauchen, um zu wissen, was sie als nächstes tun sollen.
Aber es ist nicht unmöglich.
Denn Menschen können miteinander reden, Vereinbarungen und Verabredungen treffen.
Mit mir muss man – zumindest erst einmal – viiiiiel reden. Weil ich mich und meine Welt anderen gerne erkläre – ich weiß ja, wie wenig verständlich sie anderen erscheinen kann.
Wer mich kennt, muss bereit sein, sich immer wieder überraschen zu lassen, auch wenn ihm oder ihr viel lieber wäre, wenn ich mich auf die gängigen Anstandsgeschenke beschränken würde.

Weil ich über viele Jahre bzw. mittlerweile Jahrzehnte Menschen in ihren routinierten Verhaltensweisen beobachtet habe, kenne ich viele der Mustertypen, bei denen ich ziemlich schnell merke, worauf ich gefasst sein muss. Mich überraschen Menschen selten, zumindest nicht negativ.
Denn nur, wer mich (noch) nicht kennt und versteht oder nicht mag, mich also damit ärgern will, ignoriert meine – unkonventionellen – Bedürfnisse, die ich genau deshalb bewusst und deutlich äußere, so dass sich eine unangenehme Situation nicht (unnötig oft) wiederholt.
Wer sich selbst nicht kennt, die eigenen Bedürfnisse also – aus Routine – ignoriert, erlebt dagegen definitiv häufiger böse Überraschungen.
Böse Überraschungen gibt es vor allem für Menschen, die sich routiniert an alles halten, was sie selbst für richtig erachten – wenn sie irgendwann feststellen müssen, dass sie wichtige Hinweise, Wegweiser, nicht beachtet haben.

Ich kann nur immer wieder darauf hinweisen: Wiederholungen, statt sinnvoller Routinen, sind in erster Linie dazu da, etwas auswendig zu lernen bzw. anderen einzutrichtern statt verständlich zu machen, also nicht um Spaß am Leben und Lernen zu haben.
In einer Welt, die von anderen regiert wird, würde ich wirklich jedem empfehlen, sich anzugewöhnen, also eine gewisse Routine dafür zu entwickeln, auf Anzeichen zu achten, die böse Überraschungen, also Überraschungen ankündigen, die auf Unüberlegtheit, Unwissen, Schadenfreude oder andere eigennützige Zwecke (die z.B. dazu dienen sollen, andere in Zugzwang zu bringen) hinweisen.
Das Schöne ist, dass es immer wieder dieselben Menschen es in die Politik oder an die Spitze großer und global agierender Unternehmen zu schaffen scheinen: ehrgeizige, idealistische oder ideologische, die in ihrem Leben mehr Zwangsstörungen oder wahnhafte Vorstellungen als gesunde Routinen entwickelt haben, also keine bodenständigen und auch im Angesicht von unerwarteten Hindernissen routinierten.

Ich habe momentan den Eindruck, dass gerade eine Zeit angebrochen ist, in der immer mehr Menschen das innere Gefühl, jetzt etwas anderes als bisher in ihrem Leben tun zu müssen – weil es äußere Umstände dringend erfordern -, nicht mehr unterdrücken können, das sie lange, viel zu lange schon, ignoriert oder fehlgedeutet haben.
Wenn wir nicht nur routiniert, streng nach denselben, immer wiederkehrenden Vorgaben, Verordnungen, Regeln etc. auf Gesellschafts- oder globaler Ebene zu handeln versuchen, machen wir irgendwann vielleicht (wieder) mehr Dinge genau zum richtigen Zeitpunkt, an der richtigen Stelle unseres Weges, wenn wir selbst sie für richtig erachten, also nicht weil irgendeine (auf menschlicher Willkür beruhende) Norm sie uns vorgibt oder zu voreiligen Entscheidungen zwingt.
Dann werden wir hinterher auch nicht oft bereuen müssen, was wir getan haben, sondern sagen können, dass es so, wie es war, genau richtig war, nicht, um einen Terminplan einzuhalten, sondern um am Ende wohlbehalten und zufrieden da anzukommen, wo wir hinwoll(t)en.

 

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Dank für das Foto gebührt Prophsee Journals (auf Unsplash)!

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