Unsere ziviliserte menschliche Hilfsbereitschaft und Empathiefähigkeit

Die modernen Helfer- und Hilflosigkeitssyndrome

Zwischen „Da müsste man doch was tun!“ und „Da kann man nichts machen“ versuchen vor allem zivilisierte Menschen ihr Leben so zu führen, dass sie sich weder (alleine) hilf- noch (für andere) nutzlos fühlen. Naturvölker, also Menschen in natürlichen, oft als primitiv bezeichneten Gemeinschaften tun dagegen einfach, was für ihr gemeinsames Überleben notwendig ist.

Menschen, die in komplexeren, komplizierten, zivilisierten menschlichen Gemeinschaften leben, brauchen Anleitungen oder feste Regeln und Gesetze, die ihnen vorgeben, wie man sich und anderen am sinnvollsten helfen kann. Sogar Eltern oder nächste Verwandten haben nicht nur ein Sorgerecht, sondern ihnen muss gleichzeitig auch eine Fürsorgepflicht auferlegt werden, weil sie von alleine offensichtlich nicht mehr auf die Idee kämen, sich um ihre Kinder oder hilfsbedürftige Angehörigen zu kümmern.

Eigentlich war mir schon länger klar – ich musste mich dazu ja nur umsehen oder umhören – dass ich, wie die meisten anderen Menschen dieser Erde, in einem Asozialstaat lebe, in dem Menschen nicht mehr erlaubt wird, sich natürlich zu sozialisieren.
Das Kastensystem, in dem sich die InderInnen vermutlich genauso wohl fühlen wie Menschen in sogenannten Diktaturen oder Demokratien – solange sie es nicht anders kennen oder je hinterfragt haben – wird gerne von zivilisierteren Menschen kritisiert, die sich für besser gebildet oder erzogen halten als andere Menschen in dem Land halten, in dem sie leben … Auf die Idee, zuerst denen aus ihrem Elend zu helfen, kommen eher wenige.
In unserem sogenannten Sozialstaat muss man sich nicht mehr um seine Mitmenschen kümmern, weil – angeblich – jeder in Not geratene Mensch staatliche Hilfe bekommt; zumindest solange er oder sie sich so verhält, wie die Staatsregierung es verlangt.

Auf die Idee, dass oft sehr asozial, menschenverachtend ist, was von hilfsbedürftigen Menschen in einem Land verlangt wird, dessen einziges Ziel Wirtschaftswachstum ist, das den Wohlstand – angeblich aller – sichern soll, kommen vermutlich nur wenige.
Auf die Idee, dass Staatsregierungen – genauso wie Kirchen und andere Organisationen – die moderne Angst der Menschen vor Armut oder Hilfsbedürftigkeit (denn in stabilen, sozialen Gemeinschaften, in denen sich Menschen freiwillig gerne und unentgeltlich helfen, bräuchte niemand Angst davor zu haben) oder ihre Bereitschaft, Armen und Hilfsbedürftigen zu helfen, benutzen, um sich selbst zu bereichern, kommen vermutlich noch weniger.
Dass es sogar menschlich ist, die eigenen Ängste oder Hilflosigkeit zu einem Vorteil auszuspielen, ist vermutlich den allerwenigsten bewusst: Übertriebene, also im Grunde gespielte, ungerechtfertigte, Angst vor Spinnen, Mäusen oder anderem Getier erzeugt zwar nicht immer echtes Mitgefühl und manchmal Hohn, aber oft auch Mitleid und Hilfsbereitschaft; und wer sich betrunken völlig daneben benimmt, aber nicht mehr alleine nach Hause kommt, verschafft sich diese leider auch viel zu oft.

Statt sich wirklich gegenseitig zu helfen, missbrauchen sich zivilisierte Menschen viel häufiger, um sich eigene Glücksgefühle damit zu verschaffen, anderen zu helfen (oder sich helfen zu lassen).
Statt Heim, Essen, Habseligkeiten oder Erfahrungen miteinander zu teilen, teilt man lieber Fotos von – oder Links und Empfehlungen zu – Orten, Tätigkeiten, Erlebnissen oder Menschen, an bzw. mit denen man selbst glücklich war, an denen bzw. mit denen aber nur Menschen zusammen kommen können, die dieselben Voraussetzungen mitbringen und Möglichkeiten haben.
Statt sich nicht nur lebenslange Treue, sondern auch lebenslange, gegenseitige Hilfe zu versprechen, möchte eine Vielzahl zivilisierter Menschen – die oft nicht einmal mehr wissen, wo sie ohne Geld und Supermärkte etwas zu essen bekommen würden oder sich ohne ärztliches Versorgungssystem bei Schmerzen oder anderen Krankheitssymptomen selbst zu helfen wüssten – auch in Paarbeziehungen lieber möglichst unabhängig vom anderen bleiben und sich nicht nur notfalls selbst helfen können. Selbst Eltern, die Kinder wollten und ihnen angeblich gerne helfen, sind oft nur noch dann hilfsbereit, wenn die Kinder das Haus verlassen haben, in dem sie keine Hilfe sein wollten oder konnten.
Statt armen und hungernden Kindern dieser Erde zu helfen, die vor allem hungern, weil westliche Nationen die Lebensmittelpreise und -versorgung in ihrem Land bestimmen, also bewusster einzukaufen, sich für Menschenrechte gegenüber Großunternehmen und Regierungen einzusetzen, unterstützen Menschen lieber Hilfsorganisationen, die damit ihr Geld verdienen, dass Menschen hilfsbedürftig oder zu Dank verpflichtet, also von ihnen abhängig, bleiben.

Da kann man wohl nichts machen… – außer sich zu weigern, das mitzumachen, was nur ein paar wenigen Menschen hilft (die davon profitieren, dass sie keine uneigennützige Notfallhilfe und Hilfe zur zukünftigen Selbsthilfe leisten), und sich dafür von schlecht sozialisierten oder asozial lebenden, also einsamen Menschen als unsolidarisch beschimpfen zu lassen.
Aber damit kann ich heute gut leben. Ich habe lange genug unter Menschen gelebt, um zu wissen, was sie bräuchten, um sich irgendwann selbst helfen zu können und sich nicht mehr so alleine zu fühlen. Aber ich weiß auch, dass ich niemanden helfen kann, der oder die keine Hilfe in Form von Ratschlägen, also neuen Ideen, annehmen möchte – Menschen werden sich am Ende immer nur selbst helfen können, wenn sie sich die Zeit nehmen und selbst herausfinden wollen/können/dürfen/müssen wie: Jede/r ist nämlich auf seine/ihre Weise einzigartig (hilfsbedürftig sowie hilfsbereit).

P.s.: Es ist keine menschliche Hilfsbereitschaft, sich gemeinsam zu verstecken, weil anderen, die man nicht einmal persönlich kennt und die behaupten und – mit Hilfe der ihnen zur Verfügung stehenden Medien – weltweit verbeiten, es bestünde eine Lebensgefahr für alle, damit am meisten geholfen wäre; das ist menschliche, kindliche Naivität. Wenn Erwachsene auch nach über einem Jahr noch nicht erkannt haben, dass die „Hilfsmaßnahmen“ weltweit mehr Menschen getötet oder ins Elend gestürzt haben als die angebliche neue Lebensgefahr, dann weiß ich nicht, ob das geistige Faulheit ist oder ein Armutszeugnis für Bildungssysteme in zivilisierten Staaten … (Ich frage mich, wem es helfen soll, wenn zu deren weltweiten Hilfsprojekten zählt, Schulen zu bauen?)

P.p.s.: Wir werden hilflos mitanschauen wissen, wie sich neue Diktaturen in zivilisierten, angeblich demokratisch organisierten, Ländern aufbauen, wenn wir uns nicht hilfreichere Präventionsmaßnahme einfallen lassen als zuzulassen, dass hilfsbereite Menschen, die sich zu treuen StaatsdienerInnen haben ausbilden lassen, nur von ihren Vorgesetzten und direkten GeldgeberInnen, nicht aber von den Menschen, denen sie eigentlich dienen sollen oder wollen, weil die sie mit ihren Steuern finanzieren, aus ihren Ämtern enthoben werden können (dass Geschichtsbücher erst eine staatliche Zulassung durchlaufen müssen, bevor sie in den schulischen Lehrplan integriert werden dürfen).

 

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Dank für das Foto gebührt Ken kahiri (auf Unsplash)!

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