Was mich meine letzte Laufrunde über Lebensziele, unser Sicherheitsbedürfnis, Intuition und Ehrgeiz, Gewöhnung, Durchhaltevermögen und Erfolgserlebnisse gelehrt hat

Kerstins neu gewonnene Lebenserkenntnisse

Mein Trainingszustand – vor allem hinsichtlich meiner Bein-, Po- und Rückenmuskulatur – lässt ziemlich zu wünschen übrig, so dass ich kürzlich mal wieder beschlossen habe, meine Lauf- und Ausdauertrainingsstrategie zu ändern.
Als WissenschaftlerIn bin ich gewohnt, Strategien zu ändern, wenn sie mir nicht mehr sinnvoll erscheinen.
Als WissenschaftlerIn lernt man – wenn das Ergebnis der eigenen Versuche nicht zufriedenstellend ist, Versuchsanordnungen zu überdenken und verschiedene Variablen so anzupassen, dass man bei der nächsten Runde, beim nächsten Versuchsdurchlauf, hoffentlich ein gewünschtes Ergebnis erreicht oder zumindest näher an es herankommt.

Ich habe mir jetzt also eine etwa doppelt so lange, aber abwechslungsreichere, Strecke wie beim letzten Mal vor einigen Wochen ausgesucht, mache mir aber keinen Zeitdruck mehr und setze mir auch nicht das Ziel, durchgängig das gleiche Tempo zu halten oder mir das Walking zu verbieten (das ich ganz ohne Jogging- oder Sprint-Anteile als Ausdauer-Sport ziemlich albern finde – aber lieber Walking als gar keine Bewegung!).
Im Prinzip habe ich mein Lauftraining an meine bisherige Lebensstrategie angepasst: lieber weitere Wege gehen und dafür länger als andere brauchen; lieber da etwas verweilen, wo es schön ist, und da schneller laufen, wo es mir Spaß macht und ich nicht das Gefühl habe, etwas zu verpassen, lieber glücklich und entspannt als nur verschwitzt und k.o. am Ziel ankommen, so dass die anschließende Dehnungs- und Erholungsphase auch mal kürzer ausfallen kann, wenn ich schnell wieder genug Energie habe und andere für mich wichtige Dinge tun möchte.

Während der letzten Laufrunde ist mir bewusst geworden, dass ich schnell aus der Puste komme und meine Beine schlapp machen, wenn ich zu viel denke – die Gehirntätigkeit raubt einfach dem Rest des Körpers Energie.
Wer es also nicht schafft, sich auf die eigene Atmung und die Beintätigkeit oder einfach die Strecke vor sich zu konzentrieren, wird nie in einen Laufmodus kommen können, bei dem der eigene Körper auch läuft, ohne dass man noch darüber nachdenken muss. Laufen kann nur Spaß machen, wenn man sich dabei entweder einläuft, sich ans Laufen gewöhnt, oder – zum Beispiel mit einem Laufpartner oder einer -partnerin – vom Laufen ablenkt, also einen Automatikmodus erreicht.
Laufen macht also vor allem gemeinsam Spaß, wenn man dabei keine ehrgeizigen Ziele verfolgt, oder wenn man alleine so lange ehrgeizig durchhält, bis es Spaß macht.
Es ist keine ehrenwerte Aufgabe – auch nicht im Spaß oder bei Spielen -, andere zu besiegen oder alleine etwas zu erreichen, wenn es einem selbst gar keinen Spaß oder keine Freude bereitet. Geehrt werden wollen nur Menschen, die (sich) nicht sicher fühlen, dass das, was sie getan haben, richtig oder ehrenwert und gut für sie selbst und/oder andere war; allen anderen genügt es, intuitiv oder weil sie sich auch damit auseinandergesetzt und beschäftigt haben, zu wissen, dass sie dabei etwas für sich getan haben, auf das sie stolz sein und für das sie sich auch ohne Pokal oder Medaille geehrt fühlen können.
Menschen, die sich zu sehr daran gewöhnen, von anderen für die eigenen (Lebens-)Leistung geehrt zu werden, oder Menschen, die ihr Leben lang darauf warten bzw. sich immer wieder darum bemühen statt vor allem das zu machen, was ihnen am meisten Spaß macht, für was ihr körpereigenes Glückshormonsystem sie also belohnt, können nur immer wieder Enttäuschungen erfahren.
Such‘ Dir also, wenn Du Enttäuschungen kennst und zukünftig vermeiden möchtest, vor allem zuerst ein neues Ziel – ein eigenes Zuhause oder Menschen, bei denen Du immer wieder gerne ankommen möchtest – an dem Du Dich immer willkommen fühlst, weil Du am Ende immer wieder dort landen wirst. Und dann gewöhn‘ Dir ab, zu geradlinig dorthin kommen zu wollen – wenn es Dein Ziel ist, wird Dich der Weg irgendwann, früher oder auch sehr viel später als erhofft, dorthin (zurück) bringen, wo Du Dich angekommen, also glücklich und zufrieden, fühlen wirst.

Ich wünsche Dir viel Lebens-Freude dabei. Und genug Ausdauer und Geduld oder das Vertrauen, intuitiv das Richtige zu tun. Aber all das können wir nur beim Laufen lernen, nicht vorher oder nachher.
Was Deine Intuition betrifft, wirst Du immer erst hinterher wissen, also am eigenen Leib spüren ob das, worauf Du Dich verlassen hast, auch gut für Dich war.
Dann wünsche ich Dir noch genug Experimentierfreude und (neue) Ideen, um herauszufinden, woran es lag, um Deine Trainingsstrategie für die nächste Runde so anpassen zu können, dass es Dir am Ende besser geht.
Sei nicht enttäuscht, wenn eine Runde nicht so gelaufen ist, wie Du sie Dir vorgestellt hast! Ich bin sicher, Du wirst noch viel Zeit und jede Menge Möglichkeiten haben, eine neue zu beginnen.
Den ersten Schritt musst und kannst Du dabei nur ganz alleine tun.

P.s.: Eigentlich sollten wir nicht den Tag, an dem wir – vielleicht nicht einmal aus eigenen Kräften – auf die Erde gekommen sind, als unseren Ehrentag feiern (wollen), sondern den Tag, an dem wir uns auf unsere Beine gestellt und – vermutlich einfach, weil wir Lust darauf hatten – losgelaufen sind.
Menschen, die Kinder in die Welt gesetzt oder großgezogen haben, können vor allem stolz darauf sein, wenn sie es nicht nur geschafft haben, ihren Nachwuchs auf eigene Beine zu stellen, sondern ihm auch den Mut und das Vertrauen mit auf den Weg gegeben haben, notfalls auch alleine laufen zu können.

 

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Dank für das Foto gebührt Tara Glaser (auf Unsplash)!

Ein großes Dankeschön geht auch an meine Eltern, die Grundlagen dafür geschaffen haben, dass ich mich weder einsam noch geehrt fühle(n muss), wenn ich Ziele alleine erreiche (noch enttäuscht, wenn ich etwas nicht alleine schaffe).

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