Das Recht zu schweigen (und seine Grenzen)
Vom Menschenrecht der (stillen) Privatsphäre und der Pflicht, sich trotzdem immer genau zu überlegen, was man tut, um es vor anderen verantworten zu können, die davon betroffen sein könnten
Es gibt Menschen, denen müsste man eher ein Schweigegelübte abverlangen, weil sie eher ihr Recht auf Redefreiheit ausleben und daher schwer überhaupt zum Schweigen zu bringen sind. Sie
- haben eine Erklärung für alles bzw.
- kommunizieren extrem gerne mit anderen Menschen, um ihnen ihre Welt zu erklären, das heißt
- sie machen sich viele Gedanken und wissen genau, warum sie das, was sie tun, tun.
Vor jeder Tat steht ein Impuls, dem Menschen folgen, den sie anderen aber vielleicht gar nicht erklären können (weil sie einem Gefühl bzw. einer Intuition gefolgt sind, dessen bzw. deren Ursprung sie nicht kennen) oder wollen (weil nicht alle das auch angeht, was man tut – solange man außer sich selbst niemandem damit schadet). Deshalb gibt es auch Menschen, die eher schweigen als sich zu verantworten, also auf Fragen zu antworten, die ihnen entweder unverständlich oder als zu „eindringlich (in ihre Privatsphäre)“ erscheinen.
Ich denke, dass vielen nicht bewusst ist, wie unüberlegt etwas war, worüber andere jetzt mit ihnen reden möchten – weil sie etwas getan haben, was andere doch betroffen oder zumindest betroffen gemacht hat). Wer selbst (noch) keine zufriedenstellende Antwort auf etwas hat, die er oder sie anderen geben könnte (weil sich ihm oder ihr die Frage vorher noch gar nicht gestellt hat), zieht es von Natur aus vor zu schweigen (oder die Frage als „blöde“ abzutun und sich – künstlich – darüber aufzuregen oder zu amüsieren).
Ich habe aber den Eindruck, dass sich „geübte“, schweigsame Zeitgenossen und -genossinen (die sich oft als „gute Zuhörer und Zuhörerinnen“ hervortun) bisher selten oder nie selbst verantworten mussten bzw. konnten – weil
- sie entweder darauf „getrimmt“ wurden, nur das auswendig zu wiederholen, was andere ihnen vorgesagt oder auf anderem Weg vorgegeben haben, oder
- ihnen gar nicht bewusst oder zu peinlich war oder immer noch ist, darüber zu sprechen, welchen inneren „Trieben“ bzw. natürlichen Bedürfnissen sie folgen bzw. gefolgt sind.
Sie stellen – wenn es ihnen nicht gelingt, von einem angesprochenen Sachverhalt abzulenken, so dass sie Stillschweigen darüber bewahren können – eher (Rück-)Fragen, um Zeit zu gewinnen, die „richtigen Worte“ zu finden.
Für mich sind alle ehrlichen Worte genau die richtigen, auch wenn sich – vor allem vorher einmal durch (in Verbindung mit bestimmten Worten erinnerten) Behandlungen durch andere Menschen schwer traumatisierte – Menschen davon angegriffen oder verletzt fühlen können. Aber ich weiß auch, wie pathetisch gefühlsbetonte bzw. -geleitete Menschen klingen können, so dass ich nicht alles ganz so ernst nehmen muss, was sie „im Eifer des (Wort-)Gefechts“ sagen. „Stille Wasser“ sind mir persönlich weitaus unheimlicher als tosende Sturmwellen, die sich – sobald sie sich ausgetobt haben – auch schnell wieder beruhigen.
Über Jahre oder Jahrzehnte heruntergeschluckte bzw. unter eine Oberfläche, die kein Wässerchen trüben kann, gedrückte Gefühle (denen nicht in Worten, Tränen, Schreien oder auf anderen – Menschen verständlichen – Wegen Ausdruck verliehen werden konnte) stauen sich so lange an, bis das verfügbare „Staubecken“ voll ist und überläuft (bzw. die gleichzeitig zurückgehaltene Luft explodiert).
Deshalb halte ich es – auch wenn ich es richtig finde, dass kein Mensch von einem einzigen anderen zum Reden gezwungen werden darf – es auch für eine menschliche Pflicht, nicht stillschweigend darüber hinwegzugehen, wenn Menschen nicht (mehr) miteinander kommunizieren wollen.
Wer sich selbst keiner Schuld bewusst ist, muss sich wenigstens anhören müssen, was ihm oder ihr vorgeworfen wird, und ausreichend Zeit bekommen, um sich verantworten, also genau überlegen zu können, was er oder sie darauf antworten möchte.
Niemand hat das Recht, nicht in Erklärungsnot oder peinliche Verlegenheit gebracht zu werden, wenn er oder sie tatsächlich etwas verbrochen hat, was zur Sprache gebracht werden sollte, um darüber entscheiden zu können, ob es als „unmoralisch“ bzw. (menschenrechts-)verletzend verurteilt werden könnte – um andere davor zu schützen bzw. sie warnen zu können, dasselbe „Verbrechen“ (oder dieselben Versprecher) zu begehen.
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Dank für das Foto gebührt Mathias Csader (auf natur-highlights.de)!
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