Wenn Menschen nicht (mehr) wissen, was Menschsein bedeutet

Eine biologisch-psychologische Nachhilfestunde

Wenn ich mir die „moderne“ Welt – in der nicht nur der Biologieunterricht immer mehr der Technologie zum Opfer zu fallen scheint – betrachte, also vor allem die besonders entwickelten, fortschrittlichen, Nationen, frage ich mich wirklich, was in Menschen vorgeht, die so – „zivilisiert“ leben wollen bzw. glauben, so leben zu müssen oder weiterhin so leben zu können. Die wenigsten nutzen das, was wir von Natur aus mitbekommen oder vor der Nase haben – unsere (Lern-)Fähigkeiten; die unendlichen Möglichkeiten, friedliche (Kompromiss-)Lösungen für die täglich neuen oder auch alten, immer wiederkehrenden Probleme zu finden; die unzähligen Vorbilder um uns herum, die wir uns nehmen könnten, um selbst auf neue, eigene, für uns sinnvollere Ideen zu kommen. Viele wollen es „besser“ machen; die Natur, Dinge, Fähigkeiten  und auch andere Menschen „beherrschen“ (oder dadurch „schlecht“ oder zumindest „schlechter“ machen …) .

Wir Menschen leben, entweder solange wir automatisch oder von anderen alles das bekommen, was wir zum Leben brauchen, d.h. solange alle unsere von Natur aus überlebenswichtigen „Funktionen“ aufrechterhalten werden, oder solange wir noch bereit sind, alles dafür zu geben, solange wir also leben wollen.

Heute geben oder nehmen sich allerdings die wenigsten Menschen die Möglichkeit, die Zeit, um herauszufinden, was sie – ganz individuell – eigentlich zum Leben brauchen; was sie gut können; was sie dafür geben wollen, zu lernen, was sie noch nicht können; oder zu erreichen, wohin sie gerne kommen würden. Heute sind schnelle Entscheidungen gefragt, um nichts „Wichtiges“ zu verpassen. Heute „muss“ Vieles sein, nur weil andere es für überlebenswichtig halten.

Irgendwie sind wir ja selbst daran schuld. Solange wir einfach mitmachen, solange wir uns zu Objekten der Absichten anderer, solange wir machen, was ein paar wenige vorgeben, solange wir uns nicht andere Möglichkeiten suchen, solange wir nicht laut äußern, dass wir anders leben wollen, solange wir nicht bereit sind, dafür einzustehen, dürfen wir uns nicht beschweren, dass das „Leben nun mal so ist“.
Es ist aber eine Lüge, dass „sich daran nichts ändern lässt“! Jede/r, der/die das behauptet, belügt sich selbst.

Solange wir nicht versuchen, Naturgesetze zu ändern, gibt es IMMER auch andere Möglichkeiten, etwas zu tun, zu versuchen. Erst hinterher können wir wissen, ob wir „gute“ oder „schlechte“ Entscheidungen getroffen und Möglichkeiten genutzt haben. Das ist menschlich – Menschen lernen aus Misserfolgen. Für mich sind Misserfolge keine „Fehler“. Wir brauchen „Fehlschläge“, um irgendwann zu wissen, was wir etwas – vorerst, denn manchmal liegt es „nur“ am ungeeigneten, „falschen“ Zeitpunkt – nicht mehr auf dieselbe Weise versuchen brauchen; um auf neue Ideen zu kommen, um uns weiterzuentwickeln.

Das kann jede/r einzelne. Das macht jeden einzelnen Menschen aus.

Viele von uns sind heute zu ungeduldig oder zu ängstlich, ihre eigenen Wege zu finden bzw. andere ihre eigenen Wege gehen zu lassen. Auch das liegt „leider“ in unserem Menschsein: sozial sein, einander zu helfen. Mehr oder weniger unbewusst, übertreten wir dabei oft unseren eigenen, persönlichen „Kompetenzbereich“: wir glauben, anderen sagen zu müssen, was gut für sie ist; wir glauben oft, dass etwas automatisch – nur weil es uns gut tut oder weil wir es brauchen – anderen genauso gut tut. Vor allem, wenn offensichtlich ist, dass andere an etwas leiden, wenn jemand krank ist, wenn jemand über etwas jammert, neigen Menschen dazu, ihre Lebensweisheiten weiter zu geben – mit ganz unterschiedlichem Erfolg, je nachdem, wie ähnlich sich die Denkweisen sind: es gibt die unsichereren Menschen, die eher Bestätigung und Trost brauchen, dass sie alles „richtig“ gemacht haben; die sogar wütend werden, wenn jemand versucht, ihnen andere Wege, andere Möglichkeiten zu zeigen. Es gibt aber auch Menschen, die neu- und wissbegierig geblieben und bereit sind, etwas neu zu versuchen, die neue Ideen brauchen, die gerne hören, was andere anders machen würden.

Wir lassen uns gerne von anderen leiten, die den Eindruck erwecken, (schon vorher) zu wissen, wie man etwas machen „muss“; wir lassen uns von Menschen regieren, die behaupten zu wissen, was sie tun; wie etwas noch „besser“ geht; dass wir uns nur von „falschen Leuten“ fernhalten müssten, um „gute“ Menschen zu werden, und an die „richtigen“, um erfolgreich im Leben zu sein – wir haben sie sogar direkt in Positionen gewählt, feiern sie oder geben ihnen durch den Kauf ihrer Produkte Geld und Macht über uns.
Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, wenn ich mir die Menschen – vor allem im Fernsehen – anschaue, wenn ich mir anhöre, was die erzählen, die große Zukunftspläne für die Menschheit schmieden, dass sie nicht verstanden haben, wie Menschen gesund und glücklich leben können; dass sie vielleicht verstanden haben, wie man Menschen, die Natur, die Welt mit Technologien beherrschen kann, aber dass sie keine Ahnung haben, wie biologische Systeme friedlich und nachhaltig funktionieren können. Die Menschen, die in der Technologie die Zukunft sehen, nehme ich als Menschen wahr, die die größte Angst vor der Natur, vor dem Leben – seinen natürlichen Zyklen, Veränderungen und Vergänglichkeit – oder vor anderen Menschen bzw. davor, sie zu verlieren, haben – vielleicht weil sie sie für unberechenbar halten, also nicht verstanden haben oder nicht verstehen wollen, was Leben bedeutet.

Damit Menschen gesund und glücklich bleiben können, dürfen sie nicht alles schon vorher wissen: sie müssen sie lernfähig, also neugierig, bleiben, sie müssen die Freiheit haben, sich immer wieder so an neue Bedingungen anpassen zu können, dass sie individuell gut damit leben können – sie müssen es also wollen und bereit sein, etwas dafür zu tun.

Organismen müssen leben wollen, um leben zu können. Wer zu sehr versucht, ihnen ihren eigenen Willen zu nehmen, tötet Lebewesen früher oder später: meist erst ihre Seele, dann ihren Körper. Besonders gefährdet sind Menschen, die denken, es gäbe gar keine Gefahren für ihr Leben; die in dem naiven Glauben großgezogen wurden, sie würden in Sicherheit leben und müssten sich um nichts selbst kümmern oder sorgen – außer darum, für die Menschen zu arbeiten, also Geld zu verdienen, die es sich zu Aufgabe gemacht haben, die Sicherheit und den Wohlstand der Menschen zu gewährleisten.

Ich lasse mich überraschen, wie lange das, was unsere Landesregierungen und „global players“ dabei aus der Welt gemacht haben, die Mehrheit von Menschen noch mitträgt, wie lange die sie noch weitermachen lassen und selbst so weiterleben will.
Denn zusammen hätte wir ja die Möglichkeit, unser Menschsein, unsere Ideen und Fähigkeiten zu nutzen und unsere Welt zu gestalten, wie wir sie gerne hätte – mehr Menschen haben zusammen immer schon mehr davon und auch mehr Lebenswillen bzw. Kraft oder Macht, sich für ihn einzusetzen.

Sie brauchen nur auch immer Zeit, das zu erkennen oder sich daran zu erinnern (wenn sie lange nicht darüber gesprochen haben), bis sie sich trauen, es zu versuchen, bis sie es schaffen, sich neu zu „ordnen“, sich zu koordinieren und zu vernetzen.
Menschen brauchen Zeit zum Lernen. Und Menschen versuchen, schnell zu vergessen und nicht mehr darüber zu reden, wenn etwas „schief gelaufen“ ist.
Sie versuchen auch gerne, anderen die Schuld zu geben.

Mein persönlicher Menschheitstraum ist, dass wir irgendwann in dem Bewusstsein leben, schon Kindern beibringen und uns selbst gegenseitig immer daran erinnern, dass nichts im Leben sicher ist; dass die meisten Ängste unberechtigt sind; aber dass es lebensgefährlich ist, Sicherheitsversprechen von fremden Menschen zu glauben; dass wir aber gegenseitig gut auf uns aufpassen und verlassen können, wenn wir uns Zeit dafür lassen, es zu lernen.

Man lernt nie aus als Mensch. Wer irgendwann keine Lust mehr hat, etwas dazuzulernen; wem es zu anstrengend ist, wer den Spaß daran verliert; wer sich lieber unterhalten lässt statt reden und zuhören zu wollen, der/die hat seinen/ihren Geist, die Begeisterung für das Leben verloren und die eigene Seele vergessen.

 

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Dank für die Fotos gebührt den Menschen, die Augenblicke in meinem Leben für mich festgehalten haben – ich hoffe, sie erinnern sich alle daran und wissen also, dass sie gemeint sind!

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