ES WAR EINMAL … DAS ERNTEDANKFEST
ODER: WIE GESUNDHEIT UND (LEBENS-)FREUDE ZUSAMMEN MIT DANKBARKEIT UND RESPEKT VOR DEN GABEN DER NATUR VERLOREN GEHEN KÖNNEN
Es ist zwar schon eine Woche her; aber ich arbeite gedanklich schon an diesem Text, seit ich fernab der Heimat pünktlich zum kirchlichen Erntedank-Sonntag – auf den mich mein Kalender hinweisen „musste“ – an die (saisonalen, regionalen) Speisekammern in der Natur erinnert wurde: unter anderem durch den Anblick von Sträuchern und niedrigen Bäumchen voller Sand- und Weißdorn oder Hagebutten. Das zufällige, also unverhoffte Highlight bei einem Waldspaziergang (als mir mein tierfotografie-begeisterter Liebster nämlich eigentlich einen Vogel zeigen wollte, der vor uns ins Gebüsch gerannt war) war dann eine – in meinen Augen riesige – „krause Glucke“ im Unterholz – ein Pilz, den ich vorher noch nie alleine gefunden oder gesammelt habe.
Für zwei Naturfreaks wie uns, die versuchen, auch ihre Ernährung möglichst umweltfreundlich zu gestalten, also am liebsten mit unverpackten „Roh-“ oder „Grundnahrungsmitteln“, wenn möglich aus dem Garten oder der unkultivierten Natur, kochen, ein wahrer Glücksfund (vor allem, weil wir uns gerade fernab bekannter, heimatlicher Nahrungsgrundlagen an der Nordsee befinden und unsere biologisch-ökologisch durchdachten Kriterien bei unserer Ernährung nicht immer und überall leicht umzusetzen sind in der heutigen „modernen“, also in erste Linie gesundheitsschädlichen und naturzerstörerischen, Welt).
Das großartige Gefühl, mit oder von der Natur leben zu können, also zu dürfen, ohne dass sie etwas dafür zurückfordert, wurde – wie eigentlich zu erwarten – etwas getrübt von dem Zeitaufwand der Reinigung dieses verästelten Monstrums und meinem schlechten Gewissen mehreren Asseln und Käfern gegenüber, die sich darin häuslich eingerichtet hatten und sich dann eine neue Heimat suchen mussten, wo ich sie ausgesetzt habe). Aber genau das bedeutet eben Leben (und Sterben): Geben und Nehmen, Wachsen und Vergehen.
Naturkreisläufe werden sich nie verhindern lassen, nur weil wir Menschen sie ausblenden, nicht wahrhaben wollen, auslagern, indem wir einfach andere die „Drecksarbeiten“ für uns machen lassen.
Erst wenn man sich dessen bewusst ist, bekommt aber das, was man sich zum eigenen Überleben aus der Natur nimmt, einen besonderen Wert; erst dann lernt man, den besonderen Geschmack eines Lebensmittels und nicht „nur“ die Zubereitungs- oder Kochkünste eines Menschen wirklich zu schätzen – das ist zumindest mein Eindruck. (Sogar ich, die sich nicht als gute, sondern eher pragmatische Köchin bezeichnen würde, habe es hinbekommen, die „fette Henne“ aus dem Pilzreich mit ein paar wenigen zusätzlichen Zutaten wie Zwiebeln, Knoblauch, Chili, Gemüsebrühpulver, Salz und Pfeffer, einer „Hafersahne“ und Nudeln auch für die etwas anspruchsvolleren Geschmacksnerven meines Liebsten lecker und für uns beide sättigend zuzubereiten).
In meinem Alltag begegnen mir heute allerdings kaum noch Menschen, die viel Wert darauf zu legen scheinen, was sie essen – solange es ihnen schmeckt. Ich sehe kaum noch Respekt für „Lebensmittel“, die ja überall verfügbar zu sein scheinen, aber in erster Linie industriell verarbeitete Produkte sind, bei deren Herstellung die Natur heute kaum noch friedlich genutzt, sondern vielmehr ausgebeutet und zerstört wird.
Dafür empfinde ich keine Dankbarkeit. Ich bin also ziemlich undankbar hinsichtlich der „Annehmlichkeiten“ unseres modernen Lebens, wenn sie gleichzeitig „meine“ Natur, also unser aller Lebensgrundlage, zerstören.
Ich bin undankbar, wenn ich sehe, wie die Produkte, die Menschen angeboten werden, zum Teil sogar als „gesund“ oder „umweltfreundlich“ verkauft werden sollen, das Leben anderer Menschen (nicht nur, aber in erster Linie in anderen Teilen der Welt) zerstören; wenn Tiere dafür leiden und sterben sollen und die Natur großflächig dafür zerstört wird, dass ohnehin schon wohlgenährte Menschen nicht auf ein weiteres Stückchen Wohlstand verzichten wollen.
Ich bin nicht dankbar dafür, dass ich billige Produkte kaufen kann, die mir nicht den Preis widerspiegeln, den Mutter Natur, also unser aller Lebensgrundlage, dafür zahlt. Ich wäre viel dankbarer, wenn unbezahlbar wäre, was gar nicht nachhaltig produziert werden kann; wenn wir uns endlich andere Lösungen für die Probleme, die wir Menschen uns selbst geschaffen haben, einfallen lassen müssten; wenn gesellschaftlicher Reichtum darin bestünde, sparsam und nachhaltig zu leben statt ungehemmt als „nachhaltig“ beworbene Produkte zu konsumieren.
Ich bin nicht dankbar für Naturschutzmaßnahmen, bei denen ein kleiner Rest der Natur vor uns Menschen geschützt werden soll statt sie uns ihr wieder näher zu bringen, uns darüber aufzuklären, was es bedeutet, in der Natur zu leben, also für das eigene Überleben auf sie und den Tod anderer Lebewesen angewiesen zu sein – während der größte Teil weiter rücksichtslos ausgebeutet werden darf.
Ich empfinde keine Dankbarkeit, wenn ich mich von Viren, überhaupt irgendwelchen Mikroorganismen oder sogar anderen Menschen fernhalten soll, von denen von Natur aus keinerlei Gefahr ausgeht – denn so viel hat mich die Biologie gelehrt: kein Lebewesen kommt mit der Absicht auf diese Welt, andere töten zu wollen.
In einem friedlich und nachhaltig funktionierenden Ökosystem sind alle aufeinander angewiesen und voneinander abhängig, jede/r hat seine/ihre Aufgabe/n, aber auch Grenzen von Zuständigkeiten, und jedem/jeder, auch den kleinsten HelferInnen, davon gebührt gleicher Respekt (und auch Entlohnung für seine Arbeit), wenn er/sie daran mitwirkt, dass nichts unnötig verbraucht oder zu viele, nicht von anderen verwertbare Abfälle produziert werden – gleich welcher Lebensform oder Weltanschauung, welchen Aussehens, welcher Farbe.
Vor allem wir Menschen hätten, das ist meine persönlich Überzeugung, das größte Potenzial, mit allen anderen friedlich zusammenleben zu können. Wir nutzen es nur nicht. Ich vermute, wenn es jemanden oder etwas gäbe, der/die/das uns unsere Vernunft geschenkt hat, würde er/sie/es uns für ziemlich undankbar halten.
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Dank für das Foto und dafür, dass er mich für eine Pause vom modernen Alltags-(Corona-)Wahnsinn an die Nordsee gebracht hat, gebührt Mathia Csader!
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