Biophilie und Biophobie – wie viel Liebe zur Natur macht glücklich und wie viel Angst vor ihr ist gesund?

Wir Menschen lieben die Natur, das Leben und alles Lebendige“ – lese und höre ich zumindest immer mal wieder. Von Erich Fromm wurde dafür schon in den 60er Jahren in psychoanalytischem Zusammenhang der Begriff „Biophilie“ eingeführt, und 1993 wandte ihn der Insektenkundler Edward O. Wilson auch aus evolutionsbiologischer Perspektive an: Menschen sollen eine angeborene Affinität zu Tieren und Pflanzen, also zu anderen Lebewesen, und zu natürlichen Lebensräumen haben.
Dem kann ich mich durch meine persönlichen Erfahrungen voll anschließen, frage mich aber, ob das tatsächlich für ALLE Menschen gilt!? Denn kann man etwas lieben, wovor man Angst hat? Um mich herum sehe ich nämlich ziemlich viele Menschen, die Ängste vor natürlichen Organismen haben haben: vor mehr oder weniger toten Viren, einzelligen Bakterien, Pilzsporen, „gefährlichen“ Tieren, vor „giftigen“ Pflanzen oder Pollenflug, vor dunklen Wäldern, vor anderen Menschen, vor dem Älterwerden, …. Handelt es sich – wenn sie gleichzeitig Sehnsucht nach Leben-in-vollen-Zügen, Draußen-sein, einem Haustier, Garten, Reisen durch die Welt verspüren – um selektive Wahrnehmung in der Praxis oder sogar das berühmte Stockholm-Syndrom?

Die Art Homo sapiens und auch noch der Großteil von uns Menschen ist auf „natürliche“ Weise entstanden, stammt sozusagen aus der Natur. Wenn wir nicht schon immer die Fähigkeit gehabt hätten, in ihr zu überleben, wäre niemand von uns heute hier! Und dass gleichzeitig nicht mehr jedes Individuum, das im Laufe der Evolution von Lebewesen auf dieser Erde entstanden ist, immer noch hier ist, zeigt, dass es noch kein einziges Lebewesen geschafft hat, auch wenn es das Leben noch so sehr liebte, unendlich lange am Leben zu bleiben. Es scheint also Situation oder „Dinge“ im Leben zu geben, die es beenden können. So viel, nüchtern betrachtet, zu den Randbedingungen des Lebens aus biologischer Sicht. Es ist anscheinend durchaus angebracht, wenn einem/r das eigene Leben lieb ist, sich vorsichtig bzw. vorausschauend, mit gebührendem Abstand und Respekt, durchs Leben zu bewegen.
Was bedeutet das jetzt im Hinblick auf Glück und Gesundheit?

Es bedeutet für mich 1., dass Vorsicht nicht mit Angst verwechselt werden sollte. Aus Angst oder Panik heraus handeln Menschen übertrieben. Als Vorsichtsmaßnahme werden keine Kriege gegen jemand anderen geführt, und in meinen Augen auch keine Waffen hergestellt. Angst, also in meinen Augen zu viel Vorsicht, hat zwei Gesichter: Ängstliche Zurückhaltung und Angstaggression. Beides kann das Leben zwar sicherer, aber vor allem für unser Gehirn „ungesund“ machen; denn um „natürlich gesund“, zu funktionieren, also so, wie es das in der Natur „gelernt“ hat, um überleben zu können, muss es vielfältig genutzt werden, braucht es also genügend Abwechslung. Mich hat – in unserer Welt, in der einerseits immer mehr Maschinen das Denken für uns übernehmen, andererseits immer häufiger wechselnde und mehr (virtuelle) „Gefahrensituationen“ geschaffen werden – also nicht überrascht, als ich von steigenden Zahlen an Demenz-Erkrankungen gehört oder gelesen habe, dass der IQ von Neugeborenen gerade zu sinken scheint. Neurophysiologische Erkenntnisse legen zudem den Schluss nahe, dass ein – z.B. durch Abschottung vor möglichen Gefahren – gelangweiltes, unterfordertes, genauso wie ein ängstlich überfordertes oder in bestimmten Denkbahnen festgefahrenes, sozusagen einseitig genutztes, Gehirn Lebensfreude, also die Lust, weiter zu leben, verliert und Depressionen den Weg bahnt.

Wer 2. eine gewisse Neugier und Offenheit dafür zeigt, in der Natur bzw. im Leben auch Gefahren zu begegnen, und irgendwann vielleicht sogar gezielt mit ihnen fertig werden kann, hat aus biologischer Sicht noch lange nicht unvorsichtig oder respektlos gehandelt.

Da sich 3. die Existenz tödlicher Gefahrenquellen für Lebewesen sich nun mal nicht bestreiten lässt, kann zu viel Unbedenklichkeit, Neugier, Übermut, … das Leben sehr frühzeitig beenden.

Schon die Begriffe bzw. individuellen Definitionen von Ängstlichkeit und Neugier sind allerdings durch persönliche Erfahrungen im Leben geprägt und können zu Streitigkeiten führen… Deshalb habe ich nur eine Empfehlung zur Beantwortung der Frage „Wie weiß ich denn jetzt, ob ich zu ängstlich durchs Leben gehe oder es durch „zu viel Neugier und Lebensfreude“, also Über- oder sogar Hochmut unnötig gefährde?“: Suche, also (hinter)frage Dich und andere, finde (durch „trial und error“/Versuch und Irrtum!) und bleib auf Deinem „goldenen Mittelweg“, lass‘ Dich also nicht ohne triftige Gründe von anderen davon abbringen und ändere die Richtung nur, wenn Du selbst es für das vernünftigste hältst! Vermutlich wird genau denselben Weg niemand anders gehen, denn individuelle Wege gibt es so viele wie Menschen auf der Erde! Jede/r kann seinen eigenen gehen; er/sie muss das sogar, weil man nur durch eigene Erfahrungen Ängste überwinden und Neugier entwickeln kann. Andere können dabei helfen, Wegspuren zu finden, Anregungen für die Wegplanung geben oder sogar auf langen Strecken Wegbegleiter sein; aber vom Anfang bis zum Ende bestreiten muss ihn jede/r selbst! Dass wir uns auf dem persönlich richtigen Weg befinden, macht sich dann praktischerweise durch Lebensfreude oder Lebensmut und Gesundheit bemerkbar!!!


Wenn ich dem, was mir die verschiedensten Medien weltweit über den körperlichen und geistigen Gesundheitszustand der Menschen übermitteln, glauben schenken darf, sind viele weit von ihrer persönlichen Mitte (zwischen Biophilie und Biophobie) entfernt… Für mich hat das viel mit unserer Kultur, mit unserer Entfernung und Entfremdung von der Natur zu tun, unserer Entfernung von den Kreisläufen von Leben und Tod.
Es gibt konkrete, lebensgefährliche Gefahrensituationen für jedes Lebewesen: z.B. der Moment, wenn es sich unbeabsichtigt in freiem Fall befindet, eine Waffe, gefletschte Zähne oder die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Autos vor Augen hat, ein herannahendes Naturereignis das Zuhause bedroht, … Dass eine lebensgefährliche Situation tödlich endet, ist zwar auch da noch nicht gesagt; aber es ist sehr viel wahrscheinlicher, als dass das in einer der vielen virtuellen Gefahrensituationen, die sich vor allem in unseren Köpfen befinden, passiert – auch wenn noch so viele Menschen behaupten, unsichtbare Gefahren wie Vireninfektionen (übrigens auch in der virtuellen Welt!) seien real und konkret. Niemand bisher konnte die Zukunft verlässlich voraussagen und es wird immer Gefahren für jedes Leben geben.
Die viel wichtigere Frage als „Wie lassen sich Gefahren vermeiden?“ – die in meinen Augen ein bisschen „zu optimistisch“ ist und die Augen verschließt vor dem, was wir schon von der Welt und vom Leben wissen) ist für mich also „Wie will ich/wollen wir mit den Gefahren des täglichen Lebens leben?“, „Welche Maßnahmen sind kurz- und langfristig sinnvoll?“ oder auch „Welche Maßnahmen lassen sich/möchte ich kurz- und langfristig verantworten?“
Manche Dinge gehören zum Leben und lassen sich nicht ändern oder vermeiden – davor lohnt sich Angst und Gegenmaßnahmen in meinen Augen nicht. Statt Gleichgültigkeit (Mutlosigkeit?) ihnen gegenüber zu entwickeln, statt nur darauf zu hoffen, dass sie wieder vorbei gehen oder auch statt (biologisch sinnlos) gegen sie kämpfen zu wollen, ließen sie sich gleichmütig bewältigen. „Wie von Zauberhand“ könnten sich allein dadurch Gefahren, vor denen wir Angst hatten oder gegen die wir vielleicht sogar gekämpft haben, auflösen. Als Naturwissenschaftlerin vermute ich als Ursache, dass die Gedankenenergie, die mit Drehungen um die mögliche Gefahr „verschwendet“ wurde, für wegbereitende, lösungsorientierte Ideen frei werden kann!
Ich würde heute jedenfalls sogar darauf wetten, dass Menschen gesünder und glücklicher wären, wenn sie endlich aufhören würden, die Natur bzw. ihre Ängste ihr gegenüber unter Kontrolle halten zu wollen, gefährliche Tiere, Pilze und Pflanzen, Viren, Bakterien, „Krankheiten“ (also willkürliche Gruppierungen von Krankheitssymptomen) aus Angst heraus zu bekämpfen – weiter nach Mitteln (Waffen!) dagegen statt nach Wegen zum gefahrlosen Miteinander zu suchen. Prinzipiell müsste ohnehin niemand auf dieser Welt kämpfen, wenn sich „Streithähne“ immer aus dem Weg gehen könnten. Und dass uns irgendetwas in der Natur, Viren, Bakterien, … den Krieg erklärt hätten, uns bedrohen würden, das kann ich persönlich nach einem Biologiestudium und meinen jahrelangen Beobachtungen und Recherchen zu Gesundheit und Krankheiten (objektiv!) einfach nicht erkennen. Aber wir Menschen neigen ja – aus unseren persönlichen, emotional geprägten (subjektiven!) Erfahrungen heraus – dazu, uns schnell persönlich bedroht oder sogar angegriffen zu fühlen, „Feinde“zu bekämpfen, auch wenn die uns gar nicht den Kampf angesagt haben…

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Dank für das Foto gebührt Mathias Csader, natur-highlights.de/

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